Von der «Hofierung» zur Bändigung des Kapitals: Wie die aufgeblähten Vermögensbestände fair abbauen?

Themenfeld: Kapital, Regulierung

Die bereits lang anhaltende Finanzkrise, die mit der Lehmann-Pleite 2008 zeitweilig eruptierte und die in gegenwärtigen Staatsverschuldungs- und Eurokrise ihre Fortsetzung findet, lässt sich als Krise der Überschuldung bzw. als Krise überschießender nomineller Vermögensbestände (Finanzblase) begreifen. Zwar mögen die Manifestationen dieser Krise (Zahlungsunfähigkeiten von Schuldnern, Insolvenzen von Finanzinstituten, steigende Zinslasten für Staaten usw.) objektiv gegeben sein und selbst kaum einen Anlass für Kontroversen bieten. Doch ist Krise letztlich ein normativer Begriff: Ein bestehendes, an sich erhaltenswertes gesellschaftliches (bzw. ökonomisches) Gefüge ist aus den Fugen geraten. Aber welches Gefüge genau? Warum genau handelt es sich um eine Krise und worin besteht diese grundlegend betrachtet? Welche Abhilfen sind folglich als adäquat zu beurteilen? Darüber bestehen teilweise heftige Kontroversen, vor allem zwischen den ökonomischen Experten, von denen sich die politischen Akteure beraten lassen (müssen). – Drei, eo ipso normative Krisentheorien lassen sich unterscheiden.

  1. Die neoklassische Standardökonomik, die die Wirtschaftspolitik seit langem dominiert, beförderte eine Politik der «Hofierung» des Kapitals, durch die die Blase geschaffen wurde, und fordert nun eine solche in veränderter Form, nämlich in Form einer Politik der Austerität und der «strukturellen Maßnahmen» (vgl. hier exemplarisch für Portugal): Neoliberale «Rosskuren» (Hans-Werner Sinn) sollen nun überall installiert werden, damit der angewachsene Kapitalpool bedient werden kann, sei es aus dem Wachstum, welches sich als Folge der Maßnahmen zur Erhöhung der «Wettbewerbsfähigkeit» der überschuldeten Wirtschaftssubjekte (gegenüber wem?) ergeben soll, oder sei es durch eine Erhöhung der Kapitalquote («Abschöpfung») und der Forcierung der Entwicklungstendenzen hin zu einer Plutonomie, oder aus einer Mischung aus beidem.
  2. Ökonomen, die sich auf Keynes berufen, verweisen mit Blick auf das Wachstum auf die Kontraproduktivität der bisherigen Austeritätspolitik. Ihrer Ansicht nach sind die weit überproportional angewachsenen Vermögensbestände jedoch ebenfalls nicht abzubauen, sondern im Gegenteil auszubauen. Die Hofierung des Kapitals soll indirekt erfolgen, nämlich durch weitere Staatsverschuldungen («deficit spending»), inkl. einer Vergemeinschaftung von Schulden («Eurobonds»), um (Staats-)Verschuldungsverhältnisse, wie sie etwa in den USA bestehen, zu simulieren. (Es muss also angenommen werden, dass das Kapital bei den Privaten in falschen Händen liegt und sich etwa in einer «Liquiditätsfalle» befindet oder in Spekulationsgeschäften «verschwendet» wird.) Hierzu zählt auch die Absicherung «toxischer», im Prinzip aber für ein weiteres Wachstum kostbarer Vermögensbestände durch Geldmengenausweitungen oder Bürgschaften, um den «Abgrund» (Peer Steinbrück) zu vermeiden, in den die globale Ökonomie ansonsten fiele. Das durch die Staatsverschuldung oder durch die staatlichen Bürgschaften annahmegemäß induzierte Wachstum wird kontrafaktisch als ein technisches Problem begriffen; es fällt modellhaft wie Manna vom Himmel (S. 360), wenn man nur an den richtigen Stellschrauben dreht. Dabei muss natürlich vorausgesetzt werden, dass die über Verschuldungen finanzierten Staatsausgaben tatsächlich investiv statt konsumtiv eingesetzt werden, also so, dass sie einen Return on Investment für die Investoren abwerfen.
  3. Eine dritte, kleine und in der öffentlichen Debatten ebenso wie in den Fachdebatten eher wenig rezipierte Gruppe von Theoretikern fordert demgegenüber den Abbau von Vermögensbeständen, etwa in Form des Erlasses, des Abbaus oder der Entwertung von Schulden bzw. Vermögensbeständen (Michael Hudson, Steve Keen, David GraeberDirk Solte), überhaupt der Senkung des Kapitalkoeffizienten und damit der Reduzierung der kapitalen «Überlast» (Heribert Genreith), der «Abschmelzung der privaten Vermögensbestände durch eine adäquate Besteuerung» (Heinz-J. Bontrup), wobei auffallen muss, dass die Kapitalbesteuerung zu Zeiten des «Wohlstands für alle» deutlich höher ausfiel als heute (vgl. auch diese Übersicht). Auch die geldpolitischen Vorschläge hin zu einem sog. «Vollgeld» lassen sich im Zusammenhang der «Begrenzung der ständigen Kredit- und Verschuldungsorgien» (Helge Peukert) sehen. Zu erwähnen sind etwa auch die Vorschläge der Haftung der Bankaktionäre für «selbstverschuldeten Anlageentscheidung», d.h. der Vollzug ihrer faktischen Enteignung durch den wettbewerblichen Markt, wobei ihr Eigentum an den betreffenden Finanzinstituten, die ansonsten «gerettet» werden müssten, zeitweilig an den Staat übergehen solle, oder weitere Vorschläge für «Haircuts», wie sie von marktlibertären oder ordoliberalen Autoren vorgebracht werden, da staatliche Bail-Outs dem Marktprinzip widersprächen, dieses aber unbeschränkt gelten solle.

Die Frage ist zunächst, wie ein solcher Abbau von Vermögensbeständen von den genannten und möglichen weiteren Autoren begründet wird. Aus der hier vertretenen Sicht ist dies nämlich letztlich nicht eine faktische Frage danach, was der Fall ist. Auch wenn es, wie Michael Hudson festhält, der Fall sein dürfte, dass zahlreiche Schuldenbestände nicht bedient werden «können» («Debts that can’t be paid, won’t be») und folglich nicht bedient werden, so sind doch die dahinterliegenden Überforderungen ethisch zu reflektieren. In diesem Sinne ist die Aussage zu verstehen, dass die gegenwärtige Krise anzeigt, dass die realwirtschaftlichen Akteure, die abhängig oder selbstständig Beschäftigten, nicht in der Lage sind, die den weit überproportional angewachsenen Kapitalbeständen korrespondierenden Renditen zu erwirtschaften. Insoweit sich in diesen Überforderungen nämlich legitime Ansprüche aussprechen, ist präzisierend zu formulieren, dass sie dazu auch nicht – sei es durch Austeritätsprogramme und neoliberale Reformen unmittelbar oder durch schuldenfinanzierte und darum investiv auszurichtende Staatsausgaben mittelbar oder einfach durch «Warten» – gezwungen werden sollten.

Sollte es sich so verhalten – und dabei handelt es sich letztlich um eine politische Frage, die in freier demokratischer Deliberation zu klären ist –, dann stellt sich die Frage, wie der Abbau bestehender Vermögensbestände in einer möglichst fairen Weise und ohne die Gesamtwirtschaft in einen Abwärtsstrudel bzw. in den «Abgrund» zu reißen, möglich ist. Dabei sind für einen solchen gezielten «Asset Meltdown» insbesondere auch die Abhängigkeiten breiter Bevölkerungskreise vom Kapitalmarkt im Auge zu behalten sind, die sich durch die partielle – und aus dieser Sicht fatale – Umstellung der Altersversorgung auf das Kapitaldeckungsverfahren (vgl. umfassend Christian Christen) ergeben haben.


Heterodoxe Ökonomik und Wissenschaftsfreiheit: Wie kann die Ökonomik pluralistischer werden?

Das Memorandum «Für eine Erneuerung der Ökonomie» hält fest, dass eine paradigmatische Vielfalt von Positionen und eine von Redlichkeit und wechselseitigem Interesse getragene Auseinandersetzung zwischen diesen, jedenfalls die Offenheit für paradigmatisch neuartige Ansätze und für vom Mainstream abweichende Sichtweisen, als ein unverzichtbarer Bestandteil einer sozialwissenschaftlichen Disziplin zu gelten hat, die gegenwärtigen etablierten Wirtschaftswissenschaften sich jedoch paradigmatisch verkapselt haben.

Daran schließt sich die Frage an, wie eine paradigmatische Öffnung möglich ist, ohne die Wissenschaftsfreiheit zu tangieren, sondern diese, und damit die Wissenschaftlichkeit der Wirtschaftswissenschaften, im Gegenteil zu stärken. Denn Gegner wie Befürworter einer paradigmatischen Öffnung, etablierte Insider wie marginalisierte Outsider, reklamieren gleichermaßen Wissenschaftsfreiheit für ihre Position.

Dabei ist zunächst der These nachzugehen, dass die etablierte Ökonomik durch Orthodoxie geprägt ist, sowie aufzuzeigen, wie die Orthodoxie die Etablierung heterodoxer Ansätze im Wissenschaftssystem und damit deren wissenschaftsinstitutionelle Entfaltung verhindert. Sodann ist zu diskutieren, ob eine solche Verhinderung durch die derzeit dominante Orthodoxie als einer Art wissenschaftlichem Kartell mit dem, übrigens grundgesetzlich verankerten, Anspruch auf Wissenschaftsfreiheit vereinbar ist. Des Weiteren ist zu klären, nach welcher tatsächlichen Maßgabe sich die Ausrichtung des Wissenschaftssystems auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften vollzieht. In diesem Zusammenhang ist der These nachzugehen, dass durch die Wendung des Wissenschaftssystems hin zur «Unternehmerischen Universität» die Wissenschaftsfreiheit ohnehin bereits «schleichend ausgehöhlt» und «eingeschränkt» wurde, hieraus jedoch keine oder kaum einen Widerspruch zum bestehenden Kartell einer ökonomistischen Ökonomik, die eine Art «Phalanx marktgläubiger Ökonomen» bilde, entsteht. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass zwischen der tatsächlichen wissenschaftsinstitutionellen Maßgabe, wie sie jedenfalls in wesentlichen Tendenzen derzeit vorzuherrschen scheint und die auf eine Ökonomisierung des Wissenschaftssystems hinausläuft, und der von den etablierten Ökonomen frei gewählten inhaltlichen Ausrichtung Kongruenz besteht.

Schließlich und vor allem sind Vorschläge darüber zu entwickeln und zu diskutieren, wie die Wissenschaftlichkeit der Wirtschaftswissenschaften durch eine Institutionalisierung von paradigmatischen Offenheit gestärkt werden kann. Zu diskutieren ist hierbei unter anderem

  • der Status, der verschiedenen Publikationskanälen zukommen soll (Journals mit «doppelt blindem» Gutachterverfahren vs. Monographien und Sammelbände),
  • die Gestaltung von Berufungs- und Begutachtungsverfahren,
  • Vorschläge der Etablierung von Quoten für heterodoxe Ansätze bei der Ausrichtung von Lehrstühlen ebenso wie bei der Vergabe von Forschungsmitteln,
  • die Etablierung von Forschungseinrichtungen oder von einzelnen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, die insgesamt heterodox ausgerichtet sind,
  • die Frage der Etablierung und des Mainstreamings wirtschaftsethischer Reflexionen: neben dem wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream, durch diesen selbst oder in Form der gewollt spannungsreichen Auseinandersetzung zwischen Mainstream und ökonomismus-kritischer ethischer Reflexion,
  • die Stärkung der Wirtschaftssoziologie bzw. insgesamt einer Ökonomik, die sich disziplinär zunächst durch den Gegenstand – die Marktwirtschaft bzw. eine marktliche Ordnung des Wirtschaftens – definiert, nicht durch eine vorgegebene normative Thematisierung desselben (bzw. dann: der Gesellschaft im Ganzen), wie sie sich in den Konzepten von «Knappheit», «Rationalität» (instrumentell verstanden) und «Effizienz» findet; alternativ oder ergänzend: die Stärkung dessen, was einmal Politischen Ökonomie hieß.

Worin besteht die Geiselhaft des Kapitals – und wie kann sie beendet werden?

Themenfeld: Kapital, Regulierung

Die Finanzmarktkrise, die mit dem Konkurs der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 ihren vorläufigen Höhepunkt fand und sich nun in der Staatsverschuldungskrise fortsetzt, ist Ausdruck selbstreferentieller und «spekulativer» Wertpapiergeschäfte zwischen Kapitalmarktakteuren. Derzeit besteht ein breiter Konsens darüber, dass diese als «Finanzkasino» bezeichneten Praktiken den Kern der Finanzmarktkrise bilden.

Das «Casino» sei zu «schließen», da «die Finanzmärkte», statt als «Diener der Realwirtschaft» zu fungieren, zum «tödlichen Risiko für die Wirtschaft» geworden sind (Bütikofer/Giegold). Selbst Josef Ackermann zweifelt an der «Sinnhaftigkeit manch moderner Finanzprodukte» und der «Organisation der Finanzmärkte mit Transaktionsfrequenzen im Takt von Millisekunden» und fordert ebenfalls, «die Finanzindustrie» solle zu ihren «genuinen Aufgaben als Diener der realen Wirtschaft» zurückfinden. Der St. Galler Volkswirt Manfred Gärtner stellt im gleichen Sinne fest: «Die Finanzmärkte sind heute nicht mehr im Kern für ihre zentrale Aufgabe da, Kapital an die produktivste Stelle zu lenken. Sondern es geht bei den Finanzmärkten [heute] um andere Dinge, nämlich Kapital, eigentlich Vermögen, umzuverteilen, anderen abzujagen.» Und darin bestehe das eigentliche Problem.

Hinzuzufügen ist, dass der Handel mit Wertpapieren an sich zwar ein Nullsummenspiel zwischen den Akteuren des Kapitalmarktes ist, doch im Zusammenspiel zu einer illusionären Erhöhung des Nominalwertes dieser Papiere führt, was sich als Vermögenspreisinflation bzw. als Finanzblase fassen lässt.

Doch warum sollten diese selbstreferentiellen, von der Realwirtschaft losgelösten Wertpapiergeschäfte all diejenigen, die in diesem Finanzkasino nicht mitgespielt und beim Nullsummenspiel der sich wechselseitig «Abzockenden» nicht mitgemacht haben, systematisch gesehen kümmern? Warum müssen nun, nach den zahlreichen «Bail-Outs», die Nicht-Rentiers und die Nicht-Agenten (des Kapitals) für die massiv gewachsenen nominellen Wertpapierbestände bürgen? Und zwar in Größenordnungen, die jede Vorstellungskraft sprengen. «In den vergangenen drei Jahren haben die Mitgliedstaaten – richtiger wäre es zu sagen: die Steuerzahler – dem Finanzsektor Finanzhilfen und Bürgschaften in Höhe von 4,6 Billionen Euro zur Verfügung gestellt,» hielt im September 2011 EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso fest. Dies entspricht der Jahreswirtschaftsleistung Deutschlands von 2 Jahren und 38 Prozent des Bruttoinlandproduktes aller EU-Mitgliedstaaten. Wo genau sind die Ansatzpunkte etwa dafür, dass die Hypo-Real Estate – und damit wer genau? – mit über 120 Milliarden Euro (dies entspricht rund 30 Prozent eines Bundeshaushalts) abgesichert werden «musste»? Wie genau schaffen es die «Prinzipale» (das Kapital, die Vermögensrentiers) und ihre «Agenten» – so der nach wie vor gängige ökonomische Standardjargon – an sich illusorische nominelle Wertpapiersteigerungen in echte, realwirtschaftliche Werte – da weitgehend über Bürgschaften, die überwiegend Beschäftigte als die noch greifbaren Steuerzahler zu leisten haben –  umzuwandeln, jedenfalls vorerst?

Dieser Zwang, diese Nötigung darf als «Geiselhaft» (auch hier und hier) bezeichnet werden. Geiselhaft ist eine Drohung vermittels einer verzwickten Interessenverquickung. Ihr Argument lautet: Wenn wir fallen, reißen wir euch mit. Die aktuelle Erscheinungsform dieser Geiselhaft ist die Krise der Staatsverschuldung, durch die den Staaten immer höhere Zinslasten aufgebürdet werden. Lauteten die entsprechenden Hebel der «Erpressung» (Stefan Homburg) Unschuldiger im Falle der Bankenkrise «Too-big-to-fail», «Systemrelevanz», «Too-interconnected-to-fail» und «Kettenreaktionen», so lauten sie nun: «Ansteckung», «Flächenbrand» und «Dominoeffekte».

Es besteht, schon allein wegen der Leistungslosigkeit der korrespondierenden gigantischen Kapitaleinkommen und des Umstandes des Fehlens jeglicher Rechtsgrundlage für diesen «größten Bankraub aller Zeiten» (René Zeyer), kein Zweifel, dass diese Abschöpfungserfolge als eklatant illegitim zu bezeichnen sind. (Und, an die Adresse der Standardökonomik gewandt: Sie sind auch nicht in übergreifenden Vorteilen für die Geiseln – die dann keine wären – aufgehoben.) Aus einer universalistisch-ethischen Perspektive, die keine Naturalisierung gesellschaftlicher Kräfte und Mächte zulässt – dies gilt selbstverständlich auch für die «Macht des Kapitals» (Franz Müntefering) –, muss es sich daher um eine Scheingeiselhaft handeln. Die Frage ist, wie konnte der Schein auf Seiten der Politik verfangen? Dies ist nicht bloß eine Frage des Lobbying; denn in einer parlamentarischen Demokratie müssen sich politische Einflussnahmen im Modus der Gemeinwohlargumente tarnen. Es ist vielmehr eine Frage des Expertisenwettbewerbs, der sich in der Münze eben solcher Gemeinwohlargumenten zu vollziehen hat. Deren ökonomistischer Gehalt ist aufzuklären, um dadurch Beiträge dafür zu leisten, die Geiselhaft des (Blasen-)Kapitals zu beenden.


Ökonomische Radikalisierung vor Ort

Themenfeld: Ökonomisierung, Unternehmensethik

Die «Kolonialsierung der Lebenswelt» (Jürgen Habermas) durch ökonomische Verwertungs- und Steigerungsimperative erstreckt sich nicht nur auf Lebensbereiche außerhalb des Marktes, sondern vollzieht sich auch innerhalb der marktwirtschaftlichen Interaktionssphäre. Denn der Markt als ein Ort, an dem Menschen interagieren, ist stets als ein gesellschaftlicher Teilbereich zu begreifen, der in vielfältige Werte der Sinnhaftigkeit und Fairness eingebettet ist – wie unvollständig und rudimentär auch immer.

Die seit geraumer Zeit, vor allem seit dem ideologischen Siegeszug des Ökonomismus («Neoliberalismus»), um sich greifende ökonomische Radikalisierung im Management der Unternehmen lässt sich als «Entbettung» bzw. als Elimination aller rentabilitätsfremden Gesichtspunkte aus den internen und externen Interaktionsbeziehungen, die ein Unternehmen als Institution konstituieren, deuten.

Theoretische Überlegungen vermögen es, diese Entwicklung begrifflich zu fassen. Doch erst tiefere exemplarische Einblicke über den korrespondierenden Wandel geben ein plastisches Bild darüber, warum es sich hierbei um eine Verlustgeschichte handelt. Das Projekt soll in empirischer Feldforschung Betroffene und Beteiligte zu Wort kommen lassen, die Auskunft darüber geben, wie den Unternehmen, soweit sie davon betroffen sind, die Orientierung an Sinn und Fairness ausgetrieben wurde bzw. wie alle unternehmensrelevanten Wertdimensionen auf die Orientierung an einem Wert: der Rentabilität und sonst gar nichts, umgestellt wurden. Mit Peter Drucker formuliert: Wie vollzog sich der Wandel in der Unternehmensausrichtung vom «to make shoes» zum «to make [nothing but] money».


«Spekulation» – Wer bezahlt die Gewinne der «Spekulanten»?

Themenfeld: Kapital

Der Blasenkapitalismus ist (definitionsgemäß) ein Nullsummenspiel zwischen sich wechselseitig «abzockenden» Kapitalmarktakteuren. Allerdings nimmt dieses selbstreferentielle Spiel insofern die Form eines jedenfalls nominellen Positivsummenspiels an, als dass die gehandelten Wertpapiere in ihrer Gesamtheit steigen und Größenordnungen angenommen haben, die nur schwer vorstellbar sind. So wird das Gesamtvolumen der außerbörslich gehandelten Kontrakte auf $ 601 Billionen veranschlagt, was dem zehnfachen des derzeitigen Weltsozialproduktes entspricht. Abgesehen davon, dass es schlechterdings unvorstellbar ist, dass diese Kontrakte jemals realwirtschaftlich «glattgestellt» werden können, fragt sich, welchen Charakter diese nominellen Vermögenspositionen haben. Diese Frage stellt sich etwa mit Blick auf die ebenfalls kaum fassbaren 25 Milliarden Dollar, die die 25 «Spitzen-Verdiener» der Hedge-Funds Branche im Jahre 2009 erhielten und in ähnlichen Größenordnungen viele Jahr zuvor – jeder also im Durchschnitt eine Milliarde Dollar. Bezogen auf die USA, innerhalb derer sich der überwiegende Teil dieser Geschäfte abspielt, erhielten 25 Personen, dies sind 0,00008% der 300 Millionen messenden US-Bevölkerung, damit 0,17% der Wirtschaftsleistung der USA. Dies entspricht dem 27000 fachen des US-Durchschnittseinkommens.

Wer bezahlte diese Hedge-Funds-Manager? Erstaunlicher Weise wird diese Frage, soweit ersichtlich, kaum je gestellt, vermutlich, weil man der Dschungeltheorie der Einkommenserzielung anhängt, der zu Folge Einkommen auf strikt privater Eigenleistung beruhen. Überdies dürfte sich diese Frage so gar nicht stellen, da es den Hedge-Fund-Manager vermutlich lediglich gelang, im nominell dynamischen Finanzkasino die Karten (Wertpapiere) auf ihren Konten zu verbuchen. Die übergreifende Frage, auch bezogen auf andere Formen nomineller Wertpapiergewinne (auf die hin erfolgreich «spekuliert» wurde), die zu untersuchen ist, ist die nach der Fairness dieser Gewinne, wobei sowohl die Entstehungsseite als auch die Verwendungsseite zu beleuchten ist. Zur Verwendungsseite gehören insbesondere die realwirtschaftlichen Hebel, die den erfolgreichen «Spekulanten» in die Hand gegeben werden. Einer dieser Hebel ist die «Geiselhaft», in die das Kapital die Politik faktisch genommen hat.


«Spekulation» und Nahrungsmittelkrise – Wo ist der «rauchende Colt»?

Themenfelder: Kapital, Fairness

Die Nahrungsmittelkrise 2007-2008 und die erneuten Preissteigerungen für Nahrungsmittel im Jahre 2011 haben die Ernährungssituation gerade der Ärmsten dramatisch verschlechtert. Sie dürften Ausdruck eines wachsenden Kampfes um die endlichen Ressourcen dieser Welt sein und damit des Nachfragerwettbewerbs, bei dem die zahlungskräftigeren Käufer die weniger zahlungskräftigen Käufer verdrängen. Dieser Nachfrager- bzw. Konsumentenwettbewerb wird von der ökonomischen Standardtheorie, die Wettbewerb mit Anbieterwettbewerb gleichsetzt, im Wesentlichen ausgeblendet (S. 229 ff.).

Von besonderer Bedeutung für ein besseres Verständnis dieses unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten höchst fragwürdigen Ressourcenwettbewerbs ist die sogenannte «Spekulation». Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass Käufer und Verkäufer weder ein intrinsisches noch ein instrumentelles Interesse an den Ressourcen bzw. Nahrungsmitteln haben, auf deren Preisentwicklungen sie spekulieren, ohne die korrespondierenden Ressourcen oder Güter je in ihren Besitz bringen zu wollen. Für die vielfach vertretene These, dass diese Spekulationen bzw. die «Finanzialisierung» der Rohstoffmärkte einen wesentlicher Treiber für die Nahrungsmittelpreissteigerungen gehabt haben und ohne eine entsprechende Regulierung weiter haben werden, konnten bislang jedoch, entgegen eigenen Erklärungen, nur statistische Evidenzen gefunden werden, wenn auch einigermaßen erdrückende, aber kein «smoking gun» (vgl. etwa hier und hier).

Da die genauen Mechanismen unklar bleiben und auch den Beteiligten selbst nicht klar zu sein scheinen (sie also nicht wissen, was sie tun), ist der Frage nachzugehen, ob und wenn ja wie der Zufluss an nicht-investivem, spekulativem Kapital in dieses Marktsegment (Rohstoffe, insbesondere Nahrungsmittel) die realwirtschaftlichen Marktverhältnisse beeinflussen kann. Hier wie überall sonst müsste es sich bei diesem Billionen messenden «Finanzkasino» eigentlich um ein Nullsummenspiel zwischen sich wechselseitig «abzockenden» Finanzmarktakteuren handeln. Nominell ist es allerdings ein Positivsummenspiel bzw. Teil des Blasenkapitalismus (S. 199 ff.). Könnte die selbstreferentielle Kapitalvermehrung wie eine zusätzliche Nachfrage wirken, die die Preise steigen lässt? Wer sind hier die Gewinner, wer die Verlierer? Wer zahlt an wen und auf welcher Machtgrundlage?


Die Notwendigkeit und Schwierigkeit einer globalen Rahmenordnung

Themenfeld: Regulierung, Kapital

Es steht außer Frage, dass es in einer globalisierten Wirtschaft einer globalen Rahmenordnung bedarf, allein schon, um das Primat der Politik wieder herzustellen. Das MeM ist der Ansicht, dass einer globalen Regulierung der Kapitalmärkte hierbei eine Schlüsselrolle zukommt. Hierzu sind die bestehenden Vorschläge systematisch dahingehend zu untersuchen, ob sie die Kapitalmarktgläubigkeit tatsächlich überwinden und darüber hinaus geeignet sind, Freiräume ethisch verantwortungsvollen Wirtschaftens zu schaffen, statt diese zu behindern. Dazu ist auch ein Blick zurück zu werfen auf die Kapitalmarktregulierungen, die im «goldenen Zeitalter» breiten Massenwohlstandes bestanden und im Zug der Finanzmarktderegulierung abgebaut wurden. Dadurch soll ein möglichst breites Feld von – möglicherweise bereits gut bewährter – Regulierungsoptionen in den Blick genommen werden.

Eine der drängenden Fragen einer globalen Rahmenordnung im Allgemeinen und einer globalen Finanzmarktordnung im Besonderen lässt sich als Anfangsproblem fassen. So wird zwar mittlerweile von Seiten der Kapitalmarktinteressenten zugestanden, dass es einer international koordinierten Regulierung bedarf. Dieser sei jedoch erst dann zuzustimmen, wenn sie global flächendeckend eingeführt werde, wozu sogleich der Hinweis mitgegeben wird, dass dies illusorisch sei. Regulierungsbefürworter argumentieren im Gegenzug häufig implizit mit First Mover Advantages, wodurch allerdings eine Art Business Case der Finanzmarktregulierung unterstellt würde, der bestimmte, möglicherweise drängende und sehr sinnvolle Finanzmarktreformen ausschlösse. Wie immer dieser Konflikt zu bewältigen ist, in dem durchaus sehr mächtige Interessen involviert sind, so ist auch die Macht der Einsicht ins Spiel zu bringen, der Einsicht nämlich in die Verfehltheit des ökonomistischen Glaubens an die «Hofierung» des Kapitals zum Wohle aller. Die gegenwärtig Furore machende neue soziale Bewegung «Occupy Wall Street» mag hierfür wichtige Impulse liefern, vor allem für die angel-sächsische Welt.


Verteilungs- und Steuergerechtigkeit auf einen Blick

Thema: Fairness

Es bedarf aussagekräftiger Diagramme, um die gegenwärtige Verteilungswirklichkeit bürgernah und bündig darstellen zu können. Nach dem Vorbild des Institute for Policy Studies, die die Entwicklungen für die USA aufbereitet hat, sollen entsprechende Grafiken für Deutschland, ggf. für andere europäische Staaten erstellt werden. Dabei soll die Entwicklung der Einkommensverteilung nicht nur in Abhängigkeit der Einkommenshöhe, sondern auch der Einkommensart aufbereitet werden. Selbstverständlich sollen diese Daten wissenschaftlich gut abgesichert sein. Erst auf der Basis solcher Datengrundlagen lässt sich die Frage der Fairness bzw. Unfairness der gegenwärtigen Einkommens- und Vermögensverteilungen ermessen und fundiert ethisch diskutieren.

Ähnliches soll für die effektive Gesamtsteuerbelastung (und die Gesamtabgabenbelastung) unternommen werden, wobei indirekte Steuern einzuschließen sind und in Relation zum verfügbaren Einkommen (Vermögenszuwächse eingeschlossen) berechnet und in eine Reihe gestellt werden sollen. Die Frage lautet hierbei: Wer zahlt tatsächlich wie viel an Steuern und Abgaben in Relation zu seinem verfügbaren Einkommen.


Green New Deal – Ein neuer «Business Case» im Großformat?

Thema: Nachhaltigkeit, Regulierung

Der sogenannte «Green New Deal» lässt sich als ein ordnungspolitisches Programm fassen, durch das ökologische Nachhaltigkeit unter Beibehaltung oder Nutzung und insofern Forcierung der wettbewerblich induzierten Wachstumsdynamik erreicht werden soll. Von ökologischer Seite wird hiergegen auf die hartnäckige Persistenz sog. «Rebound Effekte» verwiesen, die eine Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wachstum als illusionär erscheinen lassen. Von einer umfassenden, nicht bloß technizistischen, sondern sozialökologischen Warte muss überdies nicht nur nach der ökologischen Wirksamkeit, sondern stets zugleich auch nach Sozialverträglichkeit der Herstellung der Umweltverträglichkeit des Wirtschaftens gefragt werden.

Dies hat mehrere Dimensionen: Da die als marktwirtschaftlich titulierten Instrumente der Sicherstellung ökologischer Nachhaltigkeit an Preisen und Kosten ansetzen, und zwar derart, dass die Preise bzw. Kosten für Ressourcen steigen sollen, führen diese Maßnahmen zu einer zusätzlichen Verschärfung des Wettbewerbs für vergleichsweise wettbewerbsschwache oder kaufkraftschwache Marktteilnehmer. Exemplarisch und überspitzt formuliert für den Konsumbereich: Freie Fahrt für die Wohlhabenden, die sich den 5 Euro teuren Sprit dann noch leisten können.

Da gemäß «Green New Deal» die Wettbewerbsdynamik ungebremst – aber ökologisch nachhaltig umgelenkt – fortgeführt werden soll, dürften Industriebeschäftigungen verteuert, Dienstleistungsbeschäftigungen hingegen ausgeweitet werden. Diese allerdings sind notorisch wertschöpfungsschwach, weil die realökonomischen Tauschvorteile für Käufer und Verkäufer tief sind. Dies dürfte zu einem weiteren Anwachsen des Niedriglohnsektors führen.

Demgegenüber steht die zumindest nicht vollkommen abwegige Behauptung, beim „Green New Deal“ handele es sich zumindest teilweise um eine Art «Business Case» im Großformat: «Deutschland wittert die ökonomischen Chancen der Zukunftsmärkte stärker als andere Länder,» so etwa Ulrich Beck zur Begründung des Atomausstiegs. Im gleichen Sinne behaupten Reinhard Bütikofer und Sven Giegold ein First-Mover-Advantage ihres «Grünen New Deal», indem «der europäischen Industrie wichtige Wettbewerbsvorteile auf den Märkten der Zukunft» verschafft würden. Sollte dies zutreffen, so ist selbstverständlich auch nach der Sozialverträglichkeit eines korrespondierenden globalen «grünen» Wettbewerbs zu fragen.

Insgesamt geht es aus einer integrativ-wirtschaftsethischen Perspektive darum, die Interaktionsverhältnisse, die mit der wettbewerblich induzierten Wachstumsdynamik gegeben sind, vom Green New Deal aber nicht in Frage gestellt werden, selbst ethisch mit zu beleuchten. Denn «die Märkte», die «in den Dienst sozialer und  ökologischer Entwicklung» zu stellen seien (Büttikofer/Giegold), sind ethisch gesehen kein Neutrum, sondern repräsentieren menschliche Interaktionen, die selbst «sozial» bzw. fair zu gestalten sind.

Die Skepsis, die gegenüber einer «Ökologisierung der Gesellschaft als Win-Win-Situation» vorgebracht wird, ist begründet. Es gilt, diese Skepsis zu substantiieren, dabei die tatsächlich bestehenden Konflikte schonungslos aufzuzeigen, um zu Vorschlägen zu gelangen, ob und inwieweit die Wettbewerbskräfte in den Dienst des anstehenden ökologischen Umbaus zu stellen und inwieweit diese Kräfte selbst zu begrenzen sind.


Warum ist die universitär etablierte Ökonomik weitgehend ökonomistisch geprägt?

Thema: Orientierungen

Der Volkswirt Friedrich Breyer (2008) dürfte recht haben mit seiner Einschätzung, dass «die Ökonomen die konsequentesten Fürsprecher des Marktes» seien. Zwar mag es Unterschiede geben darüber, worin diese (eo ipso ethisch-normative) «Fürsprache» genau besteht – etwa in der Rechtfertigung des Prinzips Markt als übergreifendem Gesellschaftsprinzip, dem überall Nachachtung zu verschaffen ist oder in der Billigung der Markkräfte bzw. Marktmächte als einer hinzunehmenden «Tatsache», deren Ignorierung mit der Strafe der «Kontraproduktivität» individueller oder politischer Vorhaben bezahlt wird. Und auch innerhalb dieser Schulen mag es Uneinigkeit darüber geben, worin diese marktapologetische «Fürsprache» genau besteht – dies insbesondere nach der Finanzmarktkrise, die die Ökonomik selbst in eine Krise gestürzt hat.

Selbst wenn nach dieser Krise viel durcheinandergewirbelt wurde, sind marktrelativierende Positionen innerhalb der universitär etablierten Wirtschaftswissenschaften nach wie vor tabuisiert. Dies ist nicht nur ein innerakademisches Spezialproblem. Denn nach wie vor gilt, jedenfalls im Grundsatz, die Feststellung von John Maynard Keynes (1936), dass «die Ideen der Ökonomen …, seien sie richtig oder falsch, mächtiger sind, als man im allgemeinen glaubt. Um die Wahrheit zu sagen, es gibt nicht viel anderes, das die Welt beherrscht.» Schließlich sind es Ökonomen, die die Wirtschaft im Kleinen (als Unternehmer, Manager, Finanzanalysten usw.) wie im Großen (als wirtschaftspolitische Berater) gestalten, und jedenfalls bedarf es ihrer, um sie vielleicht anders zu gestalten.

Wie ist diese ökonomistische Fehlschaltung und wie ist diese ökonomistische «Monokultur» zu erklären? Hierbei lassen sich wissenschaftsexterne (strukturelle) und wissenschaftsinterne (inhaltliche) Kräfte unterscheiden. Zu den wissenschaftsexternen Kräften könnte etwa die Nähe der Marktapologetik zu kapitalkräftigen Finanziers zu zählen sein – ein Zusammenhang, der derzeit für den Schulbildungsbreich untersucht wird. Zumindest insofern ist dieser Zusammenhang allerdings auch in Frage zu stellen, als sich derzeit (Oktober 2011) die allermeisten der volkswirtschaftlichen Lehrstuhlinhaber gegen weitere «Bail-Outs» zugunsten letztlich des Kapitals aussprechen.

Plausibler dürfte daher die innere, subjektiv empfundene Überzeugungskraft «der» ökonomischen Lehre sein. Im Verein mit einer – wenn man will: kartellistischen – Abschottung, im Verein mit «Berufungskartellen und Dogmenmonopolen» (Rainer Elschen, 2009), überhaupt einem Wissenschaftssystem, welches paradigmatische Erneuerung ausschließt, dürfte sich hieraus eine Art Phalanx ergeben, die bewirkt, dass jede wissenschaftlich-professionelle Erschließung marktwirtschaftlicher Zusammenhänge mit einer grundsätzliche Apologetik dieser Zusammenhänge einhergeht, mithin auf Ökonomismus hinausläuft. Die dringend notwendige Öffnung der Wirtschaftswissenschaften hin zur Pluralität der Forschungsstandpunkte und hin zu einem (durchaus pluralistischen) ethisch-reflexiven (statt kryptonormativem) Wissenschaftsverständnis wird so verhindert. Es gilt, diese Zusammenhänge zu untersuchen und wohlerwogene Vorschläge zur (ethisch-reflexiven) Öffnung der Wirtschaftswissenschaften auszuarbeiten. Dies auch und gerade darum, damit die ökonomistische «Gehirnwäsche», mit der Absolventen wirtschaftswissenschaftlicher Studien- und Lehrgänge in die Praxis entlassen werden, ein Ende hat.


Die Staatsverschuldung entwickelter Volkswirtschaften – Ursachen und Abhilfen

Thema: Regulierung, Fairness

Die Staatsschulden stecken derzeit (Oktober 2011) in einer besonders gravierenden Krise. Abgesehen von den aktuellen Turbulenzen ist zu fragen, warum die Staaten seit geraumer Zeit dazu übergegangen sind, ihre Staatshaushalte statt über Steuern und Abgaben zu wachsenden Teilen über Kredite bzw. Anleihen zu finanzieren. Diese Art der Finanzierung zwingt die Staaten zum Wachstum, da nur so die Schulden zurückbezahlt werden können. Staaten stellen sich damit Akteuren der Wirtschaft (Unternehmen) gleich und verlieren die Kraft der Regulierung eben dieser Wirtschaftskräfte. Sie verletzen damit zumindest ansatzweise den Grundsatz staatlicher Souveränität. Schleichend führt dieser Weg in einen Zustand, der einem demokratischen Rechtsstaat unwürdig ist.

Es wird die Hypothese vertreten, dass diese Staatsverschuldung sich zum einen der Macht des Kapitals verdankt, welches sich durch Drohung des Abzugs (nicht nur in Steueroasen) der Besteuerung entzog und gleichwohl – oder erst recht – immer größere Anteile an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung erhielt bzw. abschöpfen konnte. Zum anderen verdankt sich die Finanzierung der Staatshaushalte über Schulden der Kapitalmarktgläubigkeit, verbunden mit missverstandenem Keynesianismus, der gelegentlich als «Turbo-Keynesianismus» bezeichnet wird: Da das erwünschte Wachstum, zu dem man sich selbst genötigt hat, ausbleibt, muss die Verschuldung noch höher gefahren werden, weil offenbar noch zu wenig Kapital im Spiel sei, um die Wirtschaft «anzukurbeln».

Die Staatsverschuldung ist eher etwas, was Staaten bzw. deren Regierungen tun, weniger etwas, was sie verteidigen. In der öffentlichen Diskussion hingegen, insbesondere von Seiten etablierter Ökonomen, gilt die Staatsverschuldung als Problem. Allerdings wird mit der Problembenennung («Die Staatsschulden müssen verringert werden.») sogleich eine bestimmte Lösungsperspektive zumindest suggestiv nahegelegt: nämlich der Abbau der Staatsausgaben, das «Sparen».

Wenn allerdings die These zutrifft, dass hoch entwickelte, reife und damit auch reiche Volkswirtschaften (überdies mit einem hohen Anteil älterer Bürger) vergleichsweise hohe Anteile der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung über den Staatshaushalt an die Bürger leiten (was selbstverständlich zu begründen ist), so ist nicht einfach das «Sparen», d.h. die Senkung der Staatsquote, die angemessene Antwort auf die falsche Strategie der Staatsverschuldung, sondern die (Wieder-)Besteuerung höherer Einkommen, vor allem der Kapitaleinkommen.