Rezension Backhaus
Nach der Rezension meiner Habilitationsschrift «Wettbewerb als Gerechtigkeitskonzept. Kritik des Neoliberalismus» durch Hermann Sautter in der zfwu, die mich eher an die Zeiten des kalten Krieges und den Streit zwischen «Markt» und «Plan» erinnert als dass sie mir wie eine ersthafte Auseinandersetzung mit den von mir vertretenen Thesen vorkommt (vgl. meine Kommentare hier), erhielt die Schrift eine weitere Rezension von einem Ökonomen, nämlich von Jürgen G. Backhaus, die mich dann doch überrascht hat. Die weitgehend substanzfreie Rezension bzw. der Verriss im European Journal for Law and Economics, die ob ihrer Kürze vollständig hier einsehbar ist, stellt offenbar den Versuch eines Ökonomen dar, dann, wenn die Fundamente der eigenen Disziplin in Frage gestellt werden, auf Desavouierung statt auf sachliche Auseinandersetzung umzustellen.
Im Einzelnen:
Der kryptische Hinweis auf Wittgenstein bezieht sich höchstwahrscheinlich auf den Satz: «Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.» (Wiewohl ich die Seitenzahl nicht verifizieren konnte.) Nachdem man die wenigen Sätze, die eine «Rezension» bilden sollen, gelesen hat, ist klar, dass ich als Autor ganz persönlich damit gemeint bin: Ich möge, da die Lektüre ja nichts als «annoying» (ärgerlich, störend, nervig) sei, da ich zum Thema Wettbewerb also «nicht sprechen kann», doch lieber «schweigen». Ich hätte das Buch besser nicht verfasst. Es ist in die Tonne zu werfen. Dies ist schon allein darum billig, da Wittgenstein, mit dessen Verständnis sich der Rezensent hier brüsten möchte, mit dem Satz einen genuin philosophischen Sinn verbindet – und nicht etwa einen Sinn ad personam –, wodurch der Desavouierungsversuch allein schon auf den Rezensenten zurückfällt.
Die «zentrale Botschaft« des Buches ist NICHT, dass «der Wettbewerb zu begrenzen sei«. Der Ökonom kann es sich offenbar nur so vorstellen, dass ein Autor sich ein Ziel setzt («Der Wettbewerb ist zu begrenzen»), um sich sodann an Durchsetzungsstrategien dafür zu machen, wozu auch diese Schrift zähle. Ich verwahre mich gegen eine solche instrumentelle Vereinnahmung. Worum es in dem Buch geht, dazu möge man etwa den Buchrücken oder die Einleitung lesen (oder: das Buch sorgfältig lesen). Es geht nämlich um die geltungslogische Frage der Rechtfertigungsfähigkeit eines «Prinzips Wettbewerb» (wie es von der Ökonomik stillschweigend oder auch offensiv vertreten wird) bzw. um die Frage, «was mit und durch Wettbewerb ethisch auf dem Spiel steht» bzw. welche Interaktionsverhältnisse mit dem Wettbewerb ethisch der Fall sind (S. 145, vgl. auch S. 25, 334). Dabei komme ich allerdings in der Tat zu dem Ergebnis, dass, gemessen am Limeswert eines unbeschränkten Wettbewerbs, dieser zu begrenzen ist. Daraus ist allerdings keinesfalls ein politisches Programm abzuleiten, wie der Rezensent nahelegt und wie ihm die Ausführungen zu den Aufgaben einer ethisch integrierten (statt ihre Normativität erschleichenden) Ökonomik (Werterhellung statt Wertentscheidung) hätten unmissverständlich klar machen müssen (S. 124 ff.), die der Rezensent aber sei es überlesen, nicht gelesen oder nicht verstanden hat oder die er unterschlagen will.
Der nächste Satz (statt «unleaded» = bleifrei, ist wohl «unleashed» (entfesseln, von der Leine lassen) gemeint, die Beseitigung des Zeilendurchschusses (auch hier) kann auch nicht gemeint sein...) ist offenbar als Einwand gemeint, der das gesamte Vorhaben zu Fall bringen können soll. Hier wird erneut ein instrumentelles Verständnis von Wettbewerb in Anschlag gebracht - und alle Ausführungen zur unausweichlichen Nicht-Neutralität sowohl der Beschreibung des Gegenstandes (vgl. Kapitel II) als auch dieses selbst (hier: des Wettbewerbs) bleiben unbeachtet, wozu die Schrift einfach hätte sorgfältig gelesen werden müssen, insbesondere Kapital IV, Abschnitt 2.3. Diese Ausführungen scheinen den Rezensenten, so er sie gelesen hat (und nicht einfach nur Passagen aus Einleitung und Schlusskapitel), zu überfordern; oder er möchte sie unterhalb der Schwelle der Thematisierung halten, da sie allem widersprechen, wofür er sich in seiner Laufbahn als Ökonom eingesetzt hat.
An, pardon, Dreistigkeit (höflicher: Unredlichkeit) nicht zu überbieten ist die letzte Passage. Der Rezensent greift auf das beliebte Mittel des ökonomischen Establishments zurück, paradigmatischen Kritikern irgendeine Publikation (oder auch eine ganze Liste) aus dem Meer der innerparadigmatischen Publikationen vor die Füße zu werfen, die er nicht beachtet habe, und hätte er es, hätte er sein Werk nicht so verfassen können, womit es als insgesamt unbeachtlich hin- und bloßgestellt werden soll.
Jauchzen dürfte den Rezensenten befallen haben, als er bei seinen Recherchen über einen, von einem etablierten Ökonomen verfassten, Titel «The Ethics of competition» stieß, der sich nicht im Literaturverzeichnis findet. Bingo. Alles muss ja nun als hinfällig gelten. «Ärgerlich» sei die Schrift also, da sie Wettbewerb nicht in Analogie zu Sportspielen fasst. Ärgerlich ist wohl vielmehr, dass der Rezensent meine Zurückweisung der Fassung von Wettbewerb als Spiel ignoriert (vgl. ausdrücklich S. 214, FN 275; indirekt S. 154 ff.). Für «ärgerlich» und überflüssig hält der Rezensent aber offenbar die Lektüre vor allem, da sie nicht, wie die obigen «Ethics of competition», einer «free society based on self-interest» das Wort redet.
Ulrich Thielemann, Berlin, 27. März 2012