Thielemann, U./Wettstein, F.: The Case against the Business Case and the Idea of “Earned Reputation”, Beitrag des Instituts für Wirtschaftsethik Nr. 111, St. Gallen 2008.

Es handelt sich um die englische Übersetzung der Langfassung dieses Beitrages, bei der mir Florian Wettstein behilflich war. Die anvisierte Publikation in einem Journal scheiterte (ein paar Kommentare dazu weiter unten) - was vielleicht eher ein Schlaglicht auf den Positivismus und die Reflexionsferne der Journalkultur wirft als auf die Innovationskraft des Beitrages.

Der Beitrag, der hier abrufbar ist, liefert eine Zurückweisung des "Business Case for Ethics", also der Annahme, dass es sich auszahlt, in legitimer und verantwortungsvoller Weise zu handeln, in vier Schritten:

  1. Der Business Case basiert auf naiver Annahmen über die Feststellbarkeit legitimen und verantwortungsvollen Handelns (Konventionalistisches Ethikverständnis bzw. vormoderne Katalogethik).
  2. Sollte sich die Einhaltung bestimmter Normen tatsächlich auszahlen, so setzt er die ethische Neutralität der Gewinnerzielung voraus.
  3. Der Business Case verfährt bestenfalls opportunistisch, was zu Green- und Bluewashing führt.
  4. Er läuft letztlich auf eine Ethik des Rechts des Stärkeren hinaus.

Dem Business Case wird das Konzept verdienter Reputation entgegengestellt, mit dem sich begründen lässt, dass eine wahrhaftige Geschäftsethik nicht eine "Ethik der roten Zahlen" (Thomas Kuhn) sein muss.

 

Erfahrungen mit Gutachten

Ich habe eher selten versucht, Beiträge in sog. "Top-Journals" unterzubringen. Mein Eindruck ist: es ist beinahe aussichtslos, dort paradigmakritische Beiträge zu publizieren. Hier einige kursorische Einblicke in die Gutachten der beiden (ungenannten) Journals, die unseren Beitrag zurückgewiesen haben. - Man beurteile selbst.

Einer der Herausgeber schlug uns vor, “to develop a different manuscript on this topic, one that would better meet the reviewers’ and my expectations.” Ich dachte eigentlich, Neuerscheinungen sollten hauptsächlich unerwartete Argumente liefern, nicht bereits Bekanntes neu zusammenstellen…

Man gewinnt den Eindruck, dass unangenehme, die vorherrschenden Selbstverständlichkeiten hinterfragende Beiträge, unerwünscht sind. Dies zeigt sich etwa auch darin, dass der Beitrag einerseits als zu lang kritisiert wird, andererseits zahlreiche weitere Erläuterungen oder die Berücksichtigung einer ganzen Tonne weiterer Literatur verlangt werden – wobei niemals gezeigt wird, dass diese Literatur unsere Argumente widerlegen könnte. Im Ergebnis bedeutet dies, dass man niemals paradigmatisch arbeiten, sondern nur das gegenwärtige Paradigma (das Selbstverständliche, Unhinterfragte) bestätigen kann.

Gerne wird auch das Argument bemüht, dies gebe es ja alles schon (was natürlich in Widerspruch damit steht, dies sei alles Humbug): „A lot of the kernel case of this manuscript can be located in the literature.“ Eigenartiger wird dieser Literatur aber nicht genannt…

Natürlich gibt es da immer ein paar Einwände hier und dort, die mehr oder minder einschlägig sind (wobei sich die Frage stellt: ist dies nicht Gegenstand der Wissenschaftlichen Auseinandersetzung statt der autoritativen Vorauswahl?), oder auch Literaturhinweise. Doch vermochte ich eine Widerlegung des Kernarguments, dass der Business Case for Ethics nicht haltbar ist, nicht zu erblicken.

Die Reflexionsferne und der Positivismus zeigt sich etwa darin, dass ein Gutachter keinen Unterschied zwischen „Ethik“ und „Moral“ feststellen konnte, die beide doch das gleiche „Phänomen beschreiben“. Darum entging ihm und überforderte ihn die kritische Pointe des Konzepts einer „Ethik ohne Moral“ von vorn herein.

Schwierigkeiten bereitete den Gutachtern vor allem das kognitivistische Argument bzw. die Etikettenfrage (Gegenargument 1). Hier eine längere Passage mit meinen Kommentaren in eckigen Klammern:

“The difference of good and bad corporate ethics performance: I do not understand your argument here that ethical theory building upon the "ethics pays" assumption is trying to ensure legitimacy without “ethically oriented practice”. If a corporation is investing in ethics [This is a highly problematic notion; the direction of our contribution can be summarized in critically clarifying what is presupposed in this notion: “investing” implies striving for a ROI. But when this self-interest is decisive, the actor does not know if it’s “ethics”, i.e. legitimate action, or not. This is the epistemological issue. We prepare it in the section on Wieland on p. 4., and it is manifest in the “measuring problem”. To summarize the shortcomings of such an ethics without morality: What is morally (or ethically, we can use the term interchangingly here) right, neither can be defined without morality (or integrity), nor is it brought about.] because they belief it pays [sic, profitability is thus regarded as decisive here, q.e.d.], the practice – at least on the surface of what is observable from outside [so, he seems to concede that we need some ethical judges, for example stakeholders, civil society] – is ethically oriented. [You seem to refer to some strict consequentialist ethics. This is the same concept as an ethics without morals. But then, this practice obviously is not “ethically oriented”, at best, its consequences are morally right. But why should this be the case? The proponent needs to show. We rather show that this proposition comes down to an “ethics of the right of the powerful”. And we show why. ] Where is the difference between a corporation that starts to implement Rainforest Alliance standards because of corporate values (perhaps Chiquita?) and a company that incorporates the standards for strategic/instrumental reasons (perhaps McDonald’s?). [The difference is that McDonalds’ ‘ethical’ policy, pars pro toto, rests on shaky grounds. Cf. CSR as a Niche Phenomenon. Of course, nobody doubts that actors who pursue more or less strictly their self-interest do not breach any imaginable right, or even might promote some right. But this is not “the business case of ethics”, this is even not just a coincidence. It depends on the power of the actors involved. We laid all this down very clearly. – By the way, is this a review or a scholarly dispute?...]

Die Reflexionsarmut zeigt sich auch in dem Unverständnis darüber, Gewinn als einen Anspruch neben anderen zu fassen:

“You argue that “profits is a legitimate claim” (are!) but that “ultimately decisive are ethical reasons”. [There is no “but” in this. “Profits” is one “claim”, or “reason”, among others.] If it is legitimate, isn’t it embedded in ethical reasons? If it is not embedded in ethical reasons, how can it be legitimate? [You obviously missed the differentiation between principles and norms (or specific claims) as laid down in the section on “Profit Maximization vs. Profit Orientation”. If profits would not be a legitimate claim, it would be illegitimate (wrong) on principle to earn profits, which obviously is absurd. If profits is the ultimate measure, or principle, of corporate conduct, you would, in the end, advocate an ethics of the right of the powerful. We escape both alternatives only by differentiating between norms and principles. Your term “embedded” is too unspecific to capture this differentiation.]

Ein anderer Gutachter, der die Etikettenfrage vollständig ignoriert, meint den Beitrag zurückweisen zu können, da wir den „business case for CSR“ mit „business ethics“ konfundierten (als könne sich „CSR“ vom Anspruch freimachen, ethisch verantwortungsvolle (dafür steht dass „R“) Unternehmensführung zu markieren), um dann selbst zu behaupten: “Empirical results between firm behavior and financial performance remain valid, and these results from the "business case" can then be interpreted in a business ethics context.” Die Herausgeber hätten wohl eher dieses Gutachten zurückweisen müssen…

Und noch ein Beispiel:

“To make this more of a contribution to the X Journal, I suggest the authors move beyond pointing out that the pursuit of profit from CSR  [was heisst hier “from”? Als sei “CSR” eine objective, messbare Entität] does not necessarily, or even commonly, equate to improved [das ist keine Frage der “Verbesserung”! Es geht im gesamten Text um die kognitivistisch-ethische Frage der Klassierung des Unternehmenshandelns “as legitimate and responsible conduct”. Man lese doch einfach mal den abstract] business ethics [er begreift die Frage die ganze Zeit positivistisch als empirische Frage der Korrelation zwischen Entitäten, die da draussen vorliegen],…“

Ein anderer Gutachter greift keines unserer Kernargumente substantiell auf und beschäftigt sich eher mit sich selbst als mit unserem Text, jedenfalls in 2 Dritteln seines Gutachtens. Doch auch in diesem Drittel gibt es keine punktgenau Widerlegung oder Auseinandersetzung. Dort, wo der Text sich mit uns auseinandersetzt, unterbietet er klar unsere Reflexions- und Differenzierungsniveau. Ein ausformulierter Grund für die Ablehnung ist nicht erkennbar.

Der Positivismus und Reflexionsferne zeigt sich etwa auch darin, dass ein Gutachter meint: “If the "business case" faces what you call the epistemological problems of defining and measuring a company's ethics, how is earned reputation any different?” Er versteht gar nicht, dass es sich in beiden Fällen um unterschiedliche Konzepte bzw. Handlungsorientierungen handelt (Ethik ohne Moral vs. Ethik mit Moral) und nur im zweiten Fall die Integrität und somit Urteilskraft seitens des Managements vorausgesetzt werden kann, was vorauszusetzen ist, soll das Unternehmenshandeln als legitim gelten können. Der Gutachter meint hingegen, wir müssten nun eine Art andere Messanweisung für „a company’s ethics“ geben.

Einer der Herausgeber riet uns, unseren Beitrag doch besser auf die Leserschaft auszurichten („write for the audience“). Darin mag ein gewisses Zugeständnis zu erblicken sein, dass der Text die Leserschaft (oder wohl eher: diesen Gutachter) überfordert. Zugleich bestätigt es den Eindruck, dass unser Beitrag ins Aufklärungsparadox läuft: Er scheint umso notwendiger zu sein, je eher er – aus Unverständnis und Überforderung – zurückgewiesen wird… Hätten wir mit einem pädagogischen statt wissenschaftlichen Text eher eine Chance gehabt?

Vermutlich stünden auch diesbezüglich die Chancen schlecht. Ein Gutachter schreibt: „The submission is interesting but difficult and awkward, with complex terminology and non-systematized terminology.” Die Terminologie mag „non-standard“ sein – was aber ja vielleicht gerade notwendig ist, um das Scheitern des Business Case zu erkennen –, aber sicher nicht „unsystematisch“. Statt allerdings die angeblich fehlende Systematik (oder gar “Unbeholfenheit”) des Beitrages aufzuzeigen, weist er ihn unter anderem mit dem Argument zurück, hier würde ja eine „critical theory perspective“ zur Geltung gebracht. Und diese „terminology would be a problem, and barrier for the reader, in any case.“ Hier scheint der Ökonomismus ökonomistisch selbstreflexiv zu werden: Der Beitrag geniere zu wenig ‚Kundennutzen‘. Wissenschaft adé. Erneut bestätigt sich: Je nötiger es wäre, den Beitrag in die scientific community einzuspeisen, also zu veröffentlichen, desto unwahrscheinlicher wird eine Publikation, jedenfalls eine beachtete Publikation (in einem sog. A- oder B-Journal).

Ein Text mit einem „anti-capitalism bias“, den ein Gutachter herauszulesen können meint, also ein nicht von vorn herein implizit oder explizit marktapologetischer Text, verbietet sich offenbar von vorn herein für ein Journal, jedenfalls ein „Top-Journal“. Und dazu passt, dass der Gutachter meint, “Adam Smith's approach, that profit incentives motivate market behavior that has socially desirable outcomes”, könnte ja richtig sein, womit unsere Argumentation vollends “awkward“ würde. – Muss man dies tatsächlich ernst nehmen? Offenbar, wenn man in einem „Top-Journal“ unterkommen möchte. Und dies muss ja, wer im Lehrstuhlwettbewerb Aussicht auf eine universitäre Anstellung haben will. Schließlich sind „die amerikanischen A-Journals“ faktisch „die „Rating-Agenturen“ der deutschsprachigen Wissenschaft“  (Rainer Elschen, 2009, S. 338).