26. August 2012
Zum Ethik-Kodex des Vereins für Socialpolitik

Sebastian Thieme
Kategorie: Orientierungen

Der Verein für Socialpolitik (VfS) ist die traditionsreichste und bekannteste Vereinigung der Wirtschaftswissenschaften in Deutschland und möchte demnächst einen Ethik-Kodex »des guten wissenschaftlichen Verhaltens für Ökonomen« verabschieden (Initiates file downloadVfS-Kodex). Darin werden mehr Transparenz, Neutralität bei Gutachten, das Benennen der benutzten Quellen usw. gefordert.

 

Besonders wichtig erscheinen die Unterpunkte 3 und 4, wo es heißt:

  • »[i]n wissenschaftlichen Arbeiten (einschließlich Diskussionspapieren) [..] alle in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen, Infrastruktureinrichtungen und sonstigen externen Unterstützungen […] anzugeben« und

  • »Sachverhalte zu benennen, die auch nur potentiell zu Interessenskonflikten oder Befangenheit des Autors/der Autorin führen könnten«.

 

Beide Punkte sind deshalb so interessant, weil mit der wirtschaftlichen Krisenwelle seit 2007 immer wieder der Vorwurf im Raum stand und steht, die Ökonomen* wären für diese Krise mitverantwortlich. Obwohl der VfS der Meinung ist, dass die »Ökonomen die aktuelle Wirtschafts- und Währungskrise gewiss nicht verschuldet haben« (Initiates file downloadAnschreiben d. VfS), räumt er mit diesen beiden Punkten jedoch ein, dass ein Interessengeflecht aus Ökonomik und (kapital-) mächtigen Akteuren der Wirtschaft möglich ist und ein solches finanzielles Interessenkonglomerat ethische wie wissenschaftliche Verwerfungen hervorrufen kann. Dies zu vermeiden, das ist u. a. die Aufgabe eines Ethik-Kodex.

 

Zur Einordnung: Ökonomik und Krise

 

Die Mitverantwortung von Ökonomen an den wirtschaftlichen Krisen wurde und wird in kritischen Kreisen bereits länger diskutiert (z. B. von Geoffrey Hodgson 2009; bei Ulrich Thielemann hier und hier; sowie bei der World Economics Association). Kurioserweise war es aber nicht etwa die Kritik aus den eigenen Reihen, die eine Veränderung bewirken sollte, sondern eine Dokumentation: »Inside job« legte öffentlichkeitswirksam das Interessengeflecht aus Politik, Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft offen und lokalisierte darin eine Ursache der Krise 2007/ 2008. Dafür erhielt der Film 2011 einen Oscar.

 

Auf Grund der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit wirkt es wenig erstaunlich, dass die Idee eines Ethik-Kodex bei der American Economic Association (AEA) auf fruchtbaren Boden fiel. Im Januar 2012 wurde von ihr ein Ethik-Kodex verabschiedet (FAZ vom 10.01.2012). Das wiederum setzte offenbar die deutschen Ökonomen unter Zugzwang: Sowohl der VfS als auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung forderten daraufhin einen Ethik-Kodex für deutsche Ökonomen (FAZ vom 11.01.2012).

 

Mit der »Googleberg«-Affäre von 2011 gab es neben der Wirtschaftskrise weitere Gründe, über einen Ethik-Kodex nachzudenken. Vordergründig hatte diese Affäre, in der ein Bundesminister wegen Plagiatsverdacht zurücktrat, nichts mit den Wirtschaftswissenschaften zu tun. Doch die damit verbundenen wissenschaftlichen Standards wurden 2011 mit Blick auf die gesamte Hochschullandschaft diskutiert. Zudem zeigen Untersuchungen, dass diese Probleme auch auf die Ökonomik zutreffen: Unsauberes Zitieren, wissenschaftliche Salami-Taktik, Eigenplagiate, selektive Präsentation von Ergebnissen u. ä. gehören – leider – zur wirtschaftswissenschaftlichen Lebenswirklichkeit (Feld, Necker und Frey 2012 sowie FAZ-Blog).

 

Wenngleich der VfS die Verantwortung der Ökonomen für die Krise abstreitet, so verwies er darauf, dass der »gebeutelte Ruf« der Ökonomik (der sehr wohl ein selbst verschuldeter ist und mit der Krise in einem systematischen Zusammenhang steht) den Anlass für den Ethik-Kodex bildet (Initiates file downloadAnschreiben d. VfS). Auf das Problem des ramponierten Rufes reagiert der VfS jedoch nicht mit einer paradigmatischen Öffnung, wie sie etwa das Memorandum »Für eine Erneuerung der Ökonomie« fordert, damit eine Vielfalt von Positionen innerhalb der Disziplin Einzug hält, einschließlich solcher Positionen, die vor Krisen warn(t)en und deren ethisch-systematischen Hintergründe kritisch beleuchten. Stattdessen antwortet der VfS ausschließlich auf individualethische Verfehlungen, wie Plagiatsaffären, das Problem der mangelhaften (bzw. abhängigen) Betreuung von Promovierenden, Gutachter-Tätigkeiten etc. (Initiates file downloadAnschreiben d. VfS).

 

Diese Verfehlungen sind durchaus bedeutend, weil sie immanente Mängel im Wissenschaftssystem darstellen und mit der Ökonomisierung unserer Lebensverhältnisse in Verbindung stehen. Allerdings erweckt der VfS damit auch den Eindruck, dass es gar keine Probleme mit der Pluralität gäbe, wiewohl sich die von ihm anvisierten individualethischen Verfehlungen vor allem auch in einem Mangel an Pluralität äußern. Ökonomen wie Alan Freeman, die in der World Economics Association (WEA) einen Ethik-Kodex diskutieren, sehen das anders: sie sehen die Pluralität als »public duty of the working economist« und als Ausgangsprinzip eines ökonomischen Verhaltenskodex (Freeman 2012).

 

Dessen ungeachtet werden sich die nachfolgenden Punkte aber hauptsächlich auf diese individualethischen Verfehlungen konzentrieren, zumal sich in deren Bewältigung ein gewisses Potential der Krisenvermeidung erblicken lässt. Deshalb ist das Engagement des Vfs für einen Kodex als positiv zu werten. Doch fällt dieser Kodex, wie sich zeigen wird, ziemlich halbherzig aus.

 

Unbestimmte Wertbegriffe

 

Der unfertige Charakter des Kodex liegt vor allem in der Masse an unbestimmten Wertbegriffen begründet: Es ist vom »Stand der Forschung« die Rede, der »auf angemessene Weise und nach den herrschenden Normen zu würdigen« sei, ohne aber auch nur anzudeuten, wie sich z. B. »der Stand der Forschung« bestimmt und woran sich die Angemessenheit festmacht. Was sind »professionelle Standards«? Wer legt das fest? Was ist »nachvollziehbar«? Wann ist der Transparenz genüge getan? Was sind die Kriterien?

 

Dieser Einwand mag kleinlich wirken, aber ohne die benannten Kriterien wird eine Ethik-Kommission und ein Ethik-Verantwortlicher kaum arbeitsfähig sein: Wie sollte sich sonst ein Verstoß gegen »professionelle Standards« ahnden lassen, wenn nicht klar ist, was die Standards sind? Daher wäre es auch die Aufgabe einer Ethik-Kommission, genau solche Kriterien und Standards zu entwickeln. Von diesem Mandat ist im Ethik-Kodex leider nichts zu lesen.

 

Pluralität und Fairness

 

Zunächst sei lobend erwähnt, dass im Kodex die »Fairness gegenüber allen Betroffenen bei der Erstellung von wissenschaftlichen Arbeiten sowie bei der Beurteilung und Verwendung von Forschungsergebnissen« (Initiates file downloadVfS-Kodex; Herv. d. Verf.) gefordert wird. Optimisten mögen darin ein kleines Abrücken vom Markt-Dogmatismus erblicken, durch den sich der ökonomische Mainstream gemeinhin auszeichnet: Fairness bedeutet, auch alternative Sichtweisen als gleichberechtigt zuzulassen.

 

Deshalb scheint der Kodex ein Stück weit der Forderung nach Pluralität nahezukommen, wie sie im Memorandum oder etwa bei Alan Freeman (2012) nachzulesen ist: Denn wenn (!) es tatsächlich um Fairness gehen soll, dann verbindet sich damit implizit ein anderer Umgang mit wissenschaftlichen Strömungen abseits des Mainstreams, eine andere (reduzierte) Bedeutung von bibliographischen Kriterien und ebenso ein pluralistisch-fairer Umgang bei der Förderung von wissenschaftlichen Projekten, der Besetzung von Stellen, bei den »Reviews« von Fachartikeln usw. Das könnte einem Aufbrechen der dogmatischen Verkrustung der Ökonomik zuträglich sein.

 

Allerdings besteht ein wesentliches Problem darin, dass sich z. B. Verstöße gegen die Forschungsfreiheit – und damit gegen die Pluralität – nur schwer nachweisen lassen, weil die dogmatische Einflussnahme für gewöhnlich sehr subtil erfolgt: »Forschungsvorhaben […] werden einfach nicht verfolgt, Ergebnisse nicht kommuniziert, kundenorientiert interpretiert, missliebige Professoren kaltgestellt, etc.« [Was die wissenschaftliche Freiheit in der universitären Praxis einschränken kann, findet sich u. a. auch in „Wissenschaftliche Meinungsfreiheit“ von Georg Quaas angedeutet (dort Unterpunkt: „Kritik unter Kollegen“).]

 

Angesichts der im Kodex geforderten Fairness steht also die Frage im Raum, ob und wie diese Forderung tatsächlich auch nachvollziehbar und transparent umgesetzt werden soll. Damit ist auch verbunden, wie sich Pluralität gewährleisten lässt. Verpflichtende Minderheitsvoten bei Begutachtungen o. ä. scheinen eine Möglichkeit zu sein. Mit Blick auf die Publikationspraxis – vor allem der hauseigenen Zeitschriften des VfS – wäre es u. a. denkbar, einen Anspruch auf eine Antwort und Richtigstellung einzuräumen, um Missinterpretationen zu vermeiden; es könnte verpflichtend gemacht sein, dass berechtigte Kritik an einem publizierten Beitrag gedruckt werden muss, um z. B. bestehenden Dissens wahrnehmbar zu machen; und in Fällen, in denen paradigmatische Konflikte drohen, könnten Review-Gremien bewusst ausgewogen besetzt sein (zu diesen Vorschlägen siehe Freeman 2012). Deshalb: Pauschal »Fairness« zu fordern – wie im VfS-Kodex –, das ist eine Sache; die andere, daraus auch einen moralisch einzufordernden Anspruch zu formulieren.

 

Konsequenzen und Sanktionen

 

Die Forderungen nach Transparenz in den Finanzierungsquellen u. ä. provozieren geradezu die Frage, wie es um die Konsequenzen (oder Sanktionen) für unlauteres Verhalten bestellt ist. Doch wer im Entwurf dazu etwas sucht, muss eine Lupe oder etwas Fantasie benutzen: Denn mit Blick auf die Konsequenzen übt sich der Kodex in einer auffallenden Zurückhaltung. Das liegt wohl auch daran, dass der Verein selbst der Meinung zu sein scheint, kaum Sanktionsmöglichkeiten zu besitzen und Mitglieder »lediglich« (!) »rausschmeißen« könne (so zumindest Michael Burda, der Vorsitzende des VfS).

 

Aber handelt es sich beim Ausschluss aus dem VfS tatsächlich um keine schwerwiegende Maßnahme? (Kritischer gefragt: Was schweben dem Verein sonst noch für Sanktionen vor, die über einen Ausschluss hinausgehen?)

 

Dazu muss Beachtung finden, dass der VfS als die Institution unter den deutschen Volkswirten gilt: Der VfS steht für Reputation, und wer dort rausgeworfen wird, muss mit Reputationsverlust rechnen. Das heißt: die honorige Teilnahme oder Funktion in Ausschüssen ist passé, die Teilnahme an der Vergabe der Wissenschaftspreise des VfS kommt auch nicht mehr in Frage etc. Für ökonomi(sti)sch denkende Menschen wäre solch ein Rauswurf ein ziemlich hartes Los.

 

Dabei stellt der Ausschluss aus dem VfS nur eine Sanktionsmaßnahme dar. Es ließe sich ebenso über (interne) Rügen bzw. Ermahnungen nachdenken, die mit einem zumindest zeitweisen Ausschluss von Ausschüssen oder leitenden Funktionen verbunden wären. Auch das hätte Reputationsverlust oder zumindest weniger Möglichkeiten zum Aufbau von Reputation zur Folge. Und das alles soll nicht wirken?

 

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die »Herausgeber und Gutachter der vereinseigenen Zeitschriften [German Economic Review und Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Anm. d. Verf.] [..] diesem Kodex besonders verpflichtet« (Initiates file downloadVfS-Kodex) sein sollen. Das hätte z. B. zur Folge, dass gegenüber eingereichten Beiträgen die benannte Fairness entgegenzubringen ist. Andererseits wären Herausgeber und Gutachter, die gegen den Kodex verstoßen, nicht mehr geeignet für diese Arbeit. Insofern wäre der Kodex mit Konsequenzen verbunden, auf die aber im Kodex – wie oben zur »Fairness«ausgeführt – nicht näher eingegangen wird.

 

Whistleblowing: Die zweite Seite der Ethik-Verstöße

 

Im derzeitigen Hochschulsystem verhält es sich leider so, dass vor allem jene, die das Fehlverhalten ihrer Vorgesetzten (z. B. das Verschweigen von bezahlten Auftragsgutachten) anzeigen möchten und auf diese Weise zu einer Sanktionierung beitragen würden, letztlich um ihre Karriere fürchten müssen.

 

Insofern besteht kaum ein zumutbarer Anreiz für den wissenschaftlichen Nachwuchs, sich solch einem Fehlverhalten zu widersetzen oder dieses öffentlich zu machen. Eine Kritik würde selbstzerstörerische Züge annehmen. Diese Situation zu entschärfen, das wäre aber notwendig, um Ethik-Verstöße präventiv und nachhaltig zu vermeiden. Mehr noch, dies wäre notwendig, um das Funktionieren eines Ethik-Kodex – eine wissenschaftsethische Kultur – überhaupt erst zu ermöglichen. Dazu könnte es hilfreich sein, »Whistleblowing« zu unterstützen und den Schutz der wissenschaftlichen Laufbahn dieser »Whistleblower« zu gewährleisten.

 

Die Ökonomik weiterhin als »wertfreie« Wissenschaft

 

Im Ethik-Kodex ist zu lesen, dass Analysen und wirtschaftspolitische Empfehlungen »objektiv« und unabhängig zu sein haben. Doch genau dieser Anspruch (»Objektivität« und Unabhängigkeit) wurde und wird dazu missbraucht, um die ökonomischen Lehrsätze dogmatisch zu immunisieren. Zudem verfügt auch die Ökonomik über normative Grundlagen, weshalb sie nicht so »objektiv« sein kann, wie das der Kodex gerne möchte. Das scheint nach wie vor nicht reflektiert zu werden.

 

Statt am Glauben an die »Objektivität« der Ökonomik festzuhalten, wäre es deshalb eine gute Idee gewesen, wissenschaftliche Integrität einzufordern, so wie im Ethik-Kodex (PDF) des Berufsverbands Deutscher Soziologinnen und Soziologen oder wie es bei Sheila Dow (2012) in der Diskussion um einen Ethik-Kodex in der WEA anklang. In Verbindung mit der geforderten Transparenz wären die Ökonomen dann verstärkt dazu verpflichtet, ihre Forschungsaktivitäten (nebst Annahmen) zu dokumentieren und Abweichungen von den jeweils zu Grunde gelegten Forschungsgrundsätzen (z. B. Transparenz) zu begründen.

 

Weitere (einzelne) Kritikpunkte

 

Da die empirische Ökonomik bisweilen auch mit Personen und Personendaten arbeitet, wäre es ratsam gewesen, im Ethik-Kodex noch ein paar Regelungen zum Datenschutz u. ä. festzuhalten. In dem Punkt ist der Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen mit seinem Ethik-Kodex (PDF) präziser.

 

Hinsichtlich der Rechenschaftspflicht der Ethik-Kommission wäre es wünschenswert gewesen, dass sie nicht nur ein Mal jährlich dem erweiterten Vorstand berichtet, sondern darüber hinaus auch eine Berichtspflicht gegenüber der interessierten Öffentlichkeit besitzt und diese eigenständig wahrnehmen kann.

 

Überhaupt ist es als Versäumnis zu werten, dass der Aufgabenbereich des Ethik-Kodex nicht ausführlicher beschrieben wurde. Denn sicherlich, die Finanzkrise, die finanziellen Verstrickungen von Ökonomen und die Verstöße gegen wissenschaftliche Standards stecken bereits einen Arbeitsbereich ab. Doch jenseits davon existieren mit Blick auf Genderfragen, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus usw. weitere Bereiche, für die ein Ethik-Kodex zuständig wäre. Auch die bereits erwähnte Erarbeitung von Kriterien für »gute wissenschaftliche Arbeit« würde dazu zählen. Und sollte ein Ethik-Kodex nicht auch beim Ausloben wissenschaftlicher Preise eine Rolle spielen?

 

Außerdem: Eine Ethik-Kommission verliert ihre Glaubwürdigkeit – und damit ihren Zweck –, wenn sie ausschließlich im Hinterzimmer tagt, ihre Entscheidungen unter Verschluss gehalten werden und/ oder ihre Tätigkeiten maßgeblich von den Entscheidungen anderer Gremien abhängen. Prinzipiell müsste es einer Kommission auch möglich sein, das Fehlverhalten von Mitgliedern aus dem Vorstand zu ahnden. Deshalb wäre es notwendig, dass solch eine Ethik-Kommission von allen Mitgliedern gewählt wird (bisher laut Entwurf: nur vom erweiterten Vorstand), die Wahl zum jeweiligen Ethik-Funktionsträger allen Mitgliedern offensteht und z. B. die Kommission eigenständig arbeiten darf, also nicht nur »Ratgeber« ist.

 

Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Die hier geübte Kritik an dem Ethik-Kodex soll natürlich nicht den Eindruck erwecken, einer überbordenden Reglementierung das Wort zu reden. Vielmehr geht es um Präzisierungen, die – auch im Vergleich mit anderen Kodexen – durchaus umsetzbar wären: Es muss vor allem darum gehen, zu klären, was (moralisch) verbindliche Standards sind – und dafür ist eine Seite, wie im VfS-Kodex, etwas knapp.

 

Fazit

 

Das Engagement des VfS für den Kodex ist zu loben: Verglichen mit anderen Disziplinen wie der Soziologie kommt der Kodex zwar reichlich spät, aber der Umstand, dass sich die Ökonomen des VfS langsam darüber bewusst werden, welche ethisch fragwürdigen Handlungen ihrerseits zu verantworten sind, zeugt optimistisch betrachtet zumindest von einem kleinen Veränderungswillen. Löblich sind auch folgende zwei Dinge: Einmal die Forderung nach Fairness im wissenschaftlichen Umgang. Zum anderen die Verpflichtung, die »zugrundeliegenden Annahmen« (also auch – und vor allem – die normative Grundlagen und Standpunkte) deutlich zu machen. Zu beachten ist außerdem, dass sich der VfS dafür einsetzen möchte, den Ethik-Kodex über die Vereinsgrenzen hinweg als allgemeinen wirtschaftswissenschaftlichen Standard zu etablieren.

 

Dafür besteht der Inhalt des Kodex jedoch aus zu vielen Selbstverständlichkeiten, wie ein Kommentator kürzlich feststellte. Es werden wenig konkrete Anhaltspunkte dafür geboten, was verbindliche Standards sind und auf deren Basis dann u. a. auch sanktioniert werden kann. Zwar können sich jene Wissenschaftler im VfS, die für wissenschaftliche Integrität und Pluralität eintreten wollen, auf den Kodex berufen. Aber ob der Kodex tatsächlich ein Umdenken in der Ökonomik zur Folge haben wird, das steht in den Sternen. Denn der Kodex selbst stellt zwar viele Forderungen, hält sich aber mit einer konsequenten Ahndung eines Fehlverhaltens zurück. Zur Skepsis mahnt ebenso der Umstand, dass die Pluralität, die aus ethischen wie auch aus wissenschaftstheoretischen Gründen ein geradezu notwendiger Bestandteil eines Ethik-Kodex sein müsste (Thieme 2012), schlicht zu kurz kommt.

 

Vor allem in Anbetracht dessen, dass eigens eine Kommission für die Erstellung dieses Kodex ins Leben gerufen wurde und sie angeblich zwei Jahre (Initiates file downloadAnschreiben d. VfS) daran arbeitete, darf das Ergebnis ziemlich ernüchtern. Beim derzeitigen Stand hätte es auch der »Eid des Volkswirts« von Hans Christoph Binswanger und Norbert Reetz (1983!, PDF) getan, dessen zeitgemäße Überarbeitung – z. B. um die Transparenz der Finanzierung – sicher deutlich weniger als zwei Jahre in Anspruch genommen hätte.

 

Was am Kodex spezifiziert und ergänzt werden müsste, wären: die Aufgaben und Befugnisse der Ethik-Kommission (zumindest die Kriterien für die ethische Beurteilung wissenschaftlichen Verhaltens), die Überlegungen zur präventiven Vermeidung von Verstößen gegen einen Ethik-Kodex (z. B. durch Nachwuchsförderung), die Berücksichtigung der besonderen Situation von »Whistleblowern« und ein klares Bekenntnis zur Pluralität und wissenschaftlichen Integrität. Zudem müsste die Ethik-Kommission – als eigenständiges Kontrollorgan – von allen Mitgliedern des VfS gewählt werden. Ohne solche Änderungen bliebe dieser Kodex nur ein Stück Papier mit einzelnen hehren Selbstverständlichkeiten, dem vor allem aber der eher zurückhaltende Wille zur Umsetzung anzumerken ist. 


* Die in diesem Beitrag verwendeten Begriffe in ihrer männlichen Form sind grundsätzlich der weiblichen Form gleichgestellt. Auf eine Differenzierung wurde aus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet.

Der Autor dankt den Hinweisen und Anregungen von Helge Peukert und Ulrich Thielemann.

Update (05.09.2012): Eine überarbeitete Version dieses Beitrag findet sich Initiates file downloadhier als PDF hinterlegt.