Zu viel Geld in den Blasen der Finanzmärkte
Ulrich Thielemann
Kategorie: Kapital
Das Interview, das ich mit der dpa führte, wurde unter anderem in der Wiener Zeitung publiziert.
Hier das Interview in voller Länge und durch Links angereichert. Die Fragen, die Ruppert Mayr, Bundespolitischer Korrespondent der dpa, stellte, wurden schriftlich beantwortet.
Interview mit Ulrich Thielemann zur Finanzkrise
Berlin, 18. August 2011
1) Wer ist Schuld an der Krise: Spekulanten oder Politik?
Wenn man am Primat der Politik festhält - und das sollten wir - dann liegt die Verantwortung definitionsgemäß bei der Politik. Nun glaube ich aber nicht, dass es an der fehlenden "Wettbewerbsfähigkeit" der Staaten lag, global ist das ohnehin ein Nullsummenspiel, sondern an der Marktgläubigkeit einerseits, der schieren Macht des Kapitals andereseits. Statt den m.E. im Kern berechtigten Haushaltsbedarf über die Besteuerung vor allem der ja stetig gewachsenen Kapitaleinkommen zu bewerkstelligen, hat man das Kapital "hofiert", ganz wie es Ökonomen wie Hans-Werner Sinn gefordert haben, d.h. kaum mehr besteuert und den Haushaltsbedarf stattdessen über die Verschuldung gedeckt. Damit machte man sich nur um so mehr vom Kapital abhängig, das nicht nur in der Betriebswirtschaftslehre, sondern globalpolitisch faktisch zum "Prinzipal" dieser Welt geworden ist.
2) Wo liegt die moralische Verantwortung der Staaten/Politik, wo die der Finanzmärkte?
Dass "die Finanzmärkte", d.h. das Kapital und die Kapitaldienstleister, moralische Verantwortung übernehmen, ist derzeit wohl als vollständig irreal einzustufen. Diese haben mit den ökonomistischen Lehrbuchweisheiten ernst gemacht und kennen keine Renditen mehr, die zu hoch ausfallen könnten. Die Politik hat zwar eine ethisch zu begründende, aber vor allem eine politische Verantwortung. Und diese besteht darin, die global agierenden Finanzmarktakteuere global zu regulieren, statt sich von ihnen ausspielen zu lassen. Nur so lässt sich das Primat der Politik zurückgewinnen. Wir brauchen einen massiven Abbau des global zirkulierenden Blasenkapitals, denn die Realwirtschaften sind nicht in der Lage und sollen nicht in die Lage versetzt werden, die diesem Kapitalberg korrespondierenden Renditen zu erwirtschaften. Eine besondere Verantwortung der Politik - und ihrer volkswirtschaftlichen Berater - liegt darin, die Bereitschaft aufzubringen, sich von der alten Kapitalmarktgläubigkeit zu verabschieden und zu erkennen, dass das Kapital nicht etwa, wie nur ökonomische Laien annehmen, einfach Arbeitsplätze schafft, sondern primär Arbeitsplätze zerstört, freilich über schwer durchschaubare, unsichtbar ablaufende Mechanismen. Das war schon immer seine Rolle, und in diesem Druck besteht die wesentliche Quelle des Wachstums. Nur ist die Rolle des Kapitals vollkommen aus der Balance geraten.
3) Was ist mit Blick auf die Stabilisierung der Finanzmärkte für die Politik, was für die Finanzmärkte selbst zu tun?
(Vgl. bereits oben zum Abbau des Kapitals) Ich glaube, wenn einige derjenigen, die im Blasenspiel sich zu Milliardären aufschwingen konnten, nun durchaus große Teile ihres ohnehin illusorischen Buchvermögens verlieren, so ist dies nicht weiter tragisch, sondern im Gegenteil zu begrüssen, auch aus Gründen der Leistungsgerechtigkeit. Die derzeit entscheidende Frage ist, ob die Buchverluste auf die Realwirtschaften übergreifen. Ich denke, die damit angesprochene Geiselhaft des Kapitals gegenüber Politik, Realwirtschaft und Gesellschaft wird häufig übertrieben dargestellt, was natürlich im Interesse des Kapitals liegt. Zudem besteht das Problem der steigenden Zinslasten. Die derzeitig kursiernden Lösungsvorschläge gehen dahin, dem Kapital zu geben, was es verlangt und damit den Realwirtschaften - also uns allen - gigantische Wachstumslasten aufzubürden. Nur so könne eine, in ihren Einzelheiten allerdings unbestimmt gelassene, Katastrophe vermieden werden. Vielleicht trifft dies zu. Dann allerdings muss die Parallelstrategie darin bestehen, dem Kapital sein Drohpotential durch seine partielle, aber durchaus substantielle Wegbesteuerung zu nehmen, was nur global zu leisten ist. (Dies geschieht ja vor allem nur darum nicht, weil die völlig irrationale, ökonomistisch-populistische und von Millardenvermögen gesteuerte us-amerikanische Tea-Party-Bewegung ein bereits nationales, geschweige denn globales Steuerregime derzeit zu vereiteln in der Lage ist.)
4) Obwohl die Politik/die Staaten 2008 die Banken "gerettet" haben, ist der Staat jetzt der Dumme?
"Gerettet" wurde vor allem das Kapital, was ja auch der Blick in die "Global Wealth Reports" zeigt. Durch die Bürgschaften hat man das an sich illusorisch angewachsene Kapital gesichert, und an die Stelle der einen hat man eine andere Blasen gesetzt. Dies manifestiert sich in der seit 2007 um etwa 30 Prozentpunkte gewachsenen Schuldenstandsquote der OECD-Staaten. Das Illusorische dieser Kapitalbestände zeigt sich darin, dass es utopisch ist, dass die Staaten dem Kapital Wertschöpfungsanteile von 80 bis über 100% ihres Bruttoinlandproduktes irgendwann verschaffen können sollten. Eine Volkswirtschaft kann nicht ein Jahr für das Kapital arbeiten, weil sich die Wertschöpfung aus dem Zusammenspiel der realwirtschaftlichen Akteure ergibt. Darum nennt man Kapitaleinkommen ja auch "Residualeinkommen". Ein Begriff, der heute einigermaßen lachhaft erscheint. Es gilt, das Kapital wieder auf ein "Residualeinkommen" zurückzuschrauben. (Übrigens lagen die Grenzsteuerhöchstsätze - diese betreffen vor allem Kapitaleinkommen - in den USA zu Zeiten des "Wirtschaftswunders" in den 1950er bis 1970er Jahre hinein bei 90-70%.)
5) Gibt es eine Begründung dafür, dass die Europäer nicht mehr so richtig hinter Europa un ddem Euro stehen?
Der Euro hat ja faktisch kaum den Charakter einer politischen Integration angenommen. Dann würden viele Europäer viel deutlicher hinter ihm stehen. Seine Einführung war vielmehr eine strategische Wette auf die Zukunft mit unterschiedlichen, sich scheinbar ergänzenden Interessenlagen: Die deutsche Exportindustrie bekam tiefe Löhne und (scheinbar) solvente Zahler im übrigen Europa; die PIGS-Staaten kamen an billige Kredite heran, die mit der Formel: mehr Kapital, mehr Arbeitsplätze garniert wurden. Und das Kapital konnte, wie sich heute zeigt, auf die Wirtschaftskraft ganzer Staaten, auf den Steuerzahler also, wetten und diese Wetten auch noch als Sicherheit für andere Blasengeschäfte nutzen.
Man spricht heute immer wieder davon, "das Vertrauen" wieder herzustellen, womit zumeist gemeint ist: das Kapital soll darauf "vertrauen", dass wir ihm seine Renditen erwirtschaften. Ein Recht auf Vertrauen haben aber vor allem die Bürger, und im Zusammenhang der Euro-Krise: die Bürger Europas. Sie sollten darauf vertrauen dürfen, dass im "Kampf der Politik mit den Märkten" bzw. mit dem Kapital, von dem Angela Merkel sprach, die demokratisch bestimmte Politik obsiegt. Dafür benötigt sie vor allem die richtigen Theorien und darauf basierende, angemessene Strategien.