19. November 2015
Wohin mit all dem Kapital?

Ulrich Thielemann
Kategorie: Kapital

Der globale Kapitaltopf ist zu groß, um ihn in der Realwirtschaft zu investieren

 

Eröffnungsvortrag für ein Podium an der Hochschule Weserbergland auf Einladung des studentischen Vereins für Investmentforschung zum Thema «Spekulation vs. Investition», Hameln, 18. November 2015. Podiumsteilnehmer waren Management-Berater Raimund Milz und Jörg Sinner, Mitglied des Vorstandes der Sparkasse Weserbergland. Moderator war Prof. Meik Friedrich.

Seit der Finanzkrise 2007/2008 ist das Kapital ins Gerede gekommen. Bis dahin galt der Grundsatz: Alles ist gut, was den Besitzern von Geldvermögen nützt – nützt bei ihrem Drang, dieses zu vermehren –, denn dies schaffe ja Arbeitsplätze. «Sozial ist, was Arbeit schafft.» Und wer schafft die Arbeitsplätze? Natürlich das Kapital, indem es investiert. Je mehr, desto besser.

Und so hat man nicht nur, durch die Hartz-Gesetze, den Reservationslohn gesenkt und damit die Kosten für die Investoren. Die Öffnung der Türen für «einen der besten Niedriglohnsektoren» Europas hatte Gerhard Schröder 2005 in Davos rückblickend gefeiert. Man hat auch Kapitaleinkommen steuerlich privilegiert, etwa die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen auf Betriebsvermögen abgeschafft, und die Kapitalmärkte dereguliert. Denn mehr Kapital schaffe ja mehr Arbeitsplätze.

Im SPD/CDU Koalitionsvertrag von 2005 heißt es: «Ein international wettbewerbsfähiger "Finanzplatz Deutschland" ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wirtschafts- und Beschäftigungs- wachstum.» Der «Abbau überflüssigen Regulierungen» im Finanzsektor und der «Ausbau des Verbriefungsmarktes» sorge für eine «gute sowie kostengünstige Kapitalversorgung der Wirtschaft». Und damit hat man, wie man rückblickend wohl sagen muss, die Spekulation angeheizt.

Innerhalb des neoliberalen Dogmas hätte man sich allerdings besser an dessen Formulierung durch Hans-Werner Sinn (2005) gehalten: «Deutschland muss das Unternehmerkapital hofieren», also das realwirtschaftlich investierte oder zu investierende Kapital, nicht das Spekulationskapital, «weil nur dadurch Innovationen, Wachstum und Arbeitsplätze gewährleistet sind.»

Zwei Formen von Kapitaleinkommen

Es gibt zwei Möglichkeiten, mit Geld Geld zu verdienen. Genauer: mit überschüssigem, «gespartem», nicht konsumtiv verausgabtem Geld noch mehr Geld. Und die Frage ist, welche davon problematisch ist. Oder sind es vielleicht beide? Und könnte es da vielleicht ein Zuviel an Geldvermögensbeständen und daraus fließenden Kapitaleinkommen geben? – In beiden Fällen wird übrigens Geld in Geldvermögen verwandelt, in Ansprüche auf Zahlungen, indem man das Geld, die Zahlungsmittel, weggibt.

1. Die Geldvermögensbesitzer erhalten als Investoren Anteile aus der realökonomischen Wertschöpfung, sei es in Form von Dividenden, Gewinnausschüttungen oder Zinsen. Man investiert in ein Unternehmen und ein Teil der daraufhin erzielten Erträge fließt den Investoren zu.

Diese Kapitaleinkommen bilden zusammen genommen die Kapitalquote der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung. Diese betrug 2010 in Deutschland 22 Prozent (S. 4). – Ein wie ich meine erstaunlich hoher Anteil, vor allem wenn man bedenkt, dass Kapitaleinkommen leistungsfreie Einkommen sind, weshalb die Klassiker sie als «Renten» bezeichneten. – Wenn Banken damit werben: «Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten», so müsste es ja präziser heißen: «Lassen Sie andere für sich arbeiten.» Wem hier das «Risiko»-Argument fehlt, dem sei dieser Text empfohlen, S. 7 f.

2. Oder die Geldvermögensbesitzer erhalten als Anleger Vermögenstransfers von anderen Geldvermögensbesitzern, indem sie bestehende Vermögenswerte, die sie vorher gekauft haben, nun teurer an diese verkaufen. Sie realisieren Wertpapierkursgewinne, die in der Regel «Kapitalgewinne» genannt werden. (Welche Rolle dabei das «Realisieren», also die Umwandlung von Ansprüchen und Chancen auf Zahlungen in Geld, in «Liquidität», spielt, steht auf einem anderen Blatt.)

Nun lässt sich einerseits zwar sagen, dass sich jedes Kapitaleinkommen einer «Spekulation» verdankt. Denn auch im Falle von Gewinnausschüttungen wird ja heute investiert, um morgen einen Return of Investment zu erzielen, wobei dieser in der Zukunft liegende Zahlungsstrom, auf den man «spekuliert», stets ungewiss bzw. «riskant» ist. Allerdings folge ich der gebräuchlichen Verwendung und reserviere den Begriff der «Spekulation» für diejenige auf Vermögenspreissteigerungen.

Es handelt sich hierbei an sich um ein Nullsummenspiel zwischen Geldvermögensbesitzern, die sich wechselseitig abzocken. Weil dies in Kasinos nicht anders ist, hat sich der Begriff «Kasino- kapitalismus» eingebürgert.

Faktisch ist es jedoch zumeist ein Positivsummenspiel: Die Kapitalmärkte kennen nur eine Richtung: nach oben. Willkommen im Blasenkapitalismus.

Die Nötigung zum Bail-Out

Heute herrscht, jedenfalls verbal, eine große Einigkeit, dass diese Form der Erzielung von Kapitaleinkommen – und nur diese! – problematisch ist. Der Hauptgrund: Die Finanzmarktakteure nötigen den Rest der Bevölkerung zum Bail-Out, wenn die Blase irgendwann das tut, was sie tun muss, nämlich platzen. Sie sagen: «Wenn wir fallen, reißen wir Euch mit.»

An sich könnte es den Nicht-Spekulanten, den 99%, egal sein, dass hier einige ein Blasenspiel betreiben und sich wechselseitig abzocken. (Das sieht auch Michael Hudson so, was mich einigermaßen erstaunt hat.) Und wenn die Blase platzt, haben einige gewonnen auf Kosten anderer. Diese haben dann halt ihren Spieleinsatz verloren. Selbst schuld! Wer ins Kasino geht, muss wissen, auf was er sich einlässt.

Doch nehmen die Finanzmarktakteure, indem sie immer weitere Vermögenspositionen aufbauen, die sich dann in den Bilanzen der Banken wiederfinden, den Zahlungsverkehr (bzw. das «Zahlungsmittelsystem», Hans Gestrich) in Geiselhaft. Und dessen Ausfall ist der GAU einer jeder Marktwirtschaft, von der wir uns in unserer Subsistenz vollständig abhängig gemacht haben. Es entsteht eine Abwärtsspirale, wenn Zahlende ausfallen, auf deren Zahlungen andere angewiesen sind, die dann ihrerseits als Zahlende ausfallen, usw. usf. (vgl. Krugman hier) – Allerdings muss stets die Frage gestellt werde: Inwieweit ist dies eine Scheingeiselhaft? (Vgl. auch Harald Schumanns Untersuchungen zur unnötigen Rettung europäischer Banken bzw. ihrer Gläubiger.) – Gemäß IWF hat die Rettung deutscher Banken bzw. deren Gläubiger seit 2008 ungefähr 290 Mrd. EUR gekostet. So konnten die Spekulanten ihre Wertgewinne doch noch einfahren.

Der eigentliche Bail-Out vollzieht sich allerdings durch die expansive Notenbankpolitik, vor allem durchs «Quantitative Easing» (vgl. Jens Korte oder Mark Vorpahl): Illusorisch gewordene Geldvermögen («Schrottpapiere») werden aufgekauft, also in sicheres Geld, in Liquidität umgewandelt. Damit können die Superreichen dann munter weiter spekulieren.

Eigentlich, so lautet das Mantra praktisch überall, ist das Finanzkasino zu schließen. Statt die überschüssigen Finanzmittel in Spekulationsgeschäften zu «verspielen» und zu «verschwenden» (vgl. ausdrücklich Hankel/Isaak, S. 22), sollten sie realwirtschaftlich investiert werden, so dass sie «der Realwirtschaft dienen». Darin sind sich Josef Ackermann, Reinhard Bütikofer und Sven Giegold, Peer Steinbrück (vgl. hier), Berthold Huber, Friederike Spiecker, Martin Wolf, Thomas Jorberg (GLS-Bank), Wolfgang Schäuble, Marc Chesney, Wen Jiabao und Sarah Wagenknecht einig.

Nur, wem in der Realwirtschaft dient das Kapital, wenn es denn investiert wird?

Hohe Gewinne, sinkenden Investitionen

Zunächst ist festzuhalten, dass derzeit ziemlich wenig realwirtschaftlich investiert wird. Was das Fremdkapital, also die Kredite, anbelangt, so machen Hypothekarkredite heute etwa 60% (Matthias Binswanger, S. 194) bzw. 70% (Michael Hudson) aller Kredite aus. Hypothekarkredite sind im Kern aber Konsumkredite, nicht Investivkredite. Überdies wird ein Großteil dieser Kredite für den Kauf bestehender Immobilien verwandt. (Hudson: «The great bulk of property loans are for land and buildings already in place.») Dadurch wird also noch nicht einmal mehr produziert, geschweige denn, dass investiert würde. Dieser Teil dürfte eher dem Blasenspiel zuzuordnen sein

Demgegenüber haben Unternehmen offenbar kaum mehr einen Investitionsbedarf. Jedenfalls sinken die Nettoinvestitionen seit vielen Jahren, und zwar bei steigenden Gewinnen. Und wenn Unternehmen einen Investitionsbedarf haben, dann finanzieren sie diesen weitgehend aus thesaurierten Gewinnen. Seit dem Jahre 2002 nehmen die Unternehmen, aufs Ganze gesehen, keine Kredite mehr auf, sondern bilden Überschüsse (Vierter Armuts- und Reichtumsbericht, S. 53). An sich ist das eine groteske Situation (vgl. auch Vontobel). Wenn denn das Sparen der Haushalte einen Sinn haben soll, dann doch den, den Expansionsdrang von Unternehmen vorzufinanzieren. Nun werden Unternehmen selbst Gläubiger. Als Schuldner übrig bleiben der Staat und das Ausland.

Die einhellige Meinung heute, jedenfalls derjenigen, die diese Zusammenhänge wahrnehmen, ist: Die Unternehmen bzw. deren Eigentümer, allgemein: das Kapital, soll dazu bewogen werden, endlich wieder zu investieren, damit es «der Realwirtschaft» dient. Es gelte, findet etwa Stephan Schulmeister, «unternehmerische Aktivitäten», also realwirtschaftliche Investitionen, «auf allen Ebenen besser zu stellen als Finanzakrobatik», um der «Expansion», also der ‚Schaffung von Arbeitsplätzen‘, willen. Statt die vielen Milliarden zu verzocken und deren Eigentümer dann auch noch herauszuhauen, hätte sich mit diesen Mitteln, eingesetzt als «Eigenkapital» einer «Good Bank», ein gigantisches «Kreditvergabepotenzial» ergeben, so Gunnar Heinsohn.

Was aber, wenn der Investitionsstand bereits zu hoch ist und wenn dies der Grund für die ausbleibenden Investitionen ist? Ist es immer gut, wenn mehr investiert wird?

Was passiert eigentlich, wenn tatsächlich investiert wird? Die Investoren geben ihre Finanzmittel selbstverständlich nicht den wettbewerbsschwachen, sondern den wettbewerbsstarken Unternehmen bzw. Produzenten bzw. Beschäftigten. Sie geben sie denjenigen, bei denen das größte «Potential» zu vermuten ist.

Rentabilitätsextremismus

Dies allerdings ist nicht einfach gut, wie die Dienertheorie des Kapitals voraussetzt, und zwar auch unabhängig von jeder Makro- und Wettbewerbsethik, auf die sogleich zu kommen ist. Nicht ganz unwahrscheinlich ist nämlich, dass die Investoren, von denen angenommen wird, keine Rendite zu kennen, die zu hoch ausfallen könnte, ein Management protegieren, welches den Renditedruck auf Beschäftigte, Zulieferer und auch Kunden, die zu sehr «Wertvernichter» sind, erhöht. Ich nenne dies die neue Radikalität im Management (System Error, S. S. 4 ff., 65 ff., vgl. exemplarisch auch den Fall Enron). Besser wäre vielleicht der Begriff eines Rentabilitätsextremismus. Dieser ist angetreten, mit Gewinnmaximierung ernst zu machen.

Bevorzugtes Medium des korrespondierenden Verwertungs­extremismus ist die Etablierung von Anreizsystemen, die als eine Art verlängerter Arm der Eigeninteressen der Investoren fungieren sollen, indem deren Gier nach Mehr auf das oberste und mittlere Management übertragen wird, so dass diejenigen, die im Unternehmen über Gestaltungsspielräume verfügen, angehalten sind, alle Wertgesichtspunkte, die der konsequenten Renditemaximierung hinderlich sind, wirksam zu eliminieren (vgl. hier exemplarisch zu Volkswagen).

Hier werden die Verfügungsrechte des Kapitals einfach zur Steigerung seiner betrieblichen Extraktionsmacht genutzt. Durch Kostensenkungen mehr aus dem Selben herausholen, das ist die Devise hier.

Makroethik des Wettbewerbs: Schöpferische Zerstörung

Was aber, wenn tatsächlich investiert wird? Nun, wenn das Unternehmen durch die Investition seinen Umsatz steigert, dann kann ihm das nur gelingen, wenn es diese Einkommensströme von anderen Anbietern auf sich umleitet. Der Marktverkehr ist stets wettbewerblich, und Wettbewerb ist ein Prozess «schöpferischer Zerstörung». Das «Schöpferische», das sind etwa die durch eine Investition geschaffenen Arbeitsplätze. Win-Win für beide Seiten, wenn auch vielleicht schrecklich unfair verteilt und unter grausamen Bedingungen, aber (definitionsgemäß) immer noch besser als die Alternative (etwa die, arbeitslos und daher einkommenslos zu sein). Die dadurch erhöhten Einkommensströme, von denen das Kapital einen Teil auf sich abzweigt, verdanken sich jedoch interaktionslogisch zwingend der Zerstörung der Einkommensposition anderer. Win-Win-Lose erst vervollständigt das Bild. – Die Wirtschaft wächst übrigens erst dann, wenn es den unter Druck Geratenen gelingt, ihrerseits eine neue Einkommensquelle zu erschließen.

Das Kapital ist nicht der Diener, sondern die Peitsche «der Realwirtschaft» bzw. der Beschäftigten.

Man sollte also vorsichtig sein, wenn da wieder Jubelmeldungen über die vielen Tausend Arbeitsplätze verbreitet werden, die etwa Internetunternehmen wie Zalando in Berlin schaffen. Abgesehen von der Qualität dieser Beschäftigten – es handelt sich ja zumeist um McJobs bzw. «Wegwerfjobs» (Werner Vontobel), – so müsste sofort nachgehakt werden: Wie viele Stellen gehen dadurch denn, etwa im Einzelhandel, verloren?

Offener zutage tritt die zerstörerische Wirkung des Investierens demgegenüber bei dem Taxidienstleister Uber. Viele Milliarden an Finanzmitteln hat das Unternehmen für sein «disruptives» Geschäftsmodell eingesammelt. (Der Name «Uber», offenbar von der deutschen Vorsilbe «über» abgeleitet, ist natürlich Programm. Das Deutsche klingt im Englischen ohnehin etwas martialisch, und natürlich bedeutet «Über», dass das Unternehmen alle übertrumpfen will und in Sachen «Findigkeit» ein Überflieger sein möchte, was sich natürlich in klingender Münze niederschlagen muss.) Das Geschäftsmodell besteht darin, leer stehende Autos und unterbeschäftigte Autofahrer inwertzusetzen, um durch einen billigeren und flexibleren Service dem Berufsstand des Taxifahrers den Garaus zu machen.

Der gigantisch angewachsene Kapitaltopf

Im Jahre 1980 betrug die Summe aller Finanzvermögen 109% des Welt-BIP (McKinsey, S. 10). Dies lässt sich auch als der globale Verschuldungsgrad («financial debth % of GDP») fassen. Die Beschäftigten dieser Welt hätten also etwas mehr als ein Jahr für das Kapital arbeiten müssen und dabei auf jede Konsumausgaben für sich selbst verzichten müssen, um frei von allen Schulden, frei vom Kapitaldienst zu sein. Das ist natürlich aus verschiedenen Gründen eine ganz und gar unmögliche Vorstellung. Gleichwohl ist sie für die Verdeutlichung der Größenverhältnisse instruktiv. Heute müssten sie dafür mehr als dreieinhalb Jahre arbeiten (IMF, Global Financial Stability Report, 2015, S. 11: Bonds, Equities, and Bank Assets percent of World-GDP: 379,7%). Europa hat sogar einen Verschuldungsgrad von 546% des BIP.

Die Beschäftigten dieser Welt sind darin überfordert, die Renditen zu erwirtschaften, die diesem gigantisch angewachsenen Kapitaltopf korrespondierenden müssten, selbst bei tiefen Renditen und Verzinsungen. (So auch Michael Hudson: Die «rentier gains» des «FIRE sectors», «FIRE» steht für «finance, insurance and real estate», «are an overhead that is overpowering the economy's ability to pay».) Darin besteht die Finanzkrise, die keineswegs überwunden ist. Und darum handelt es sich bei diesen Kapitalbeständen weitgehend um Blasenkapital. Blase heißt nicht etwa einfach, es ist «riskant», jetzt noch in das betreffende Gebiet zu investieren, sondern es ist, wenn denn, «riskant», weil die Beschäftigten – und nur diese schaffen definitionsgemäß Wert – im Bedienen des Kapitaltopfes überfordert sind.

Diese Überforderung hat zwei Erscheinungsformen.

Das Verschuldungsproblem

Die erst ist die der Verschuldung. Hierbei handelt es sich um mehr oder minder übersichtliche und meist sehr vermittelte Kontrakte zwischen Gläubigern und Schuldnern. Natürlich hat Michael Hudson Recht, wenn er die Überforderung der Schuldner im Satz zusammenfasst: «Debts that can’t be paid, won’t be paid.» Dies gilt vor allem für Schuldner, deren Schuldendienst ihre Fähigkeit zur Einkommenserzielung (ihre «ability to pay») untergräbt. Dies mündet in Schuldknechtschaft («debt peonage»). Dies lässt sich derzeit in Griechenland beobachten.

Allerdings entsprechen nicht alle Geldvermögensbestände einem privatrechtlichen Schuldverhältnis. (So auch Hudson. Einerseits gilt: «One party’s debt is another’s savings.» Andererseits ist der Bereich der «Ersparnisse» bzw. des Geldvermögens weiter: «Pure assets and equity ownership exist without corresponding debt.») Aktien, überhaupt Eigenkapitalbestände, sind Anrechte auf Dividenden und auf die Bestimmung der Ausrichtung eines Unternehmens. Doch korrespondiert die Höhe dieser Vermögensbestände keiner Schuld auf eine korrespondierende bzw. vereinbarte Verzinsung oder gar auf Tilgung. Es besteht keine Pflicht seitens des Unternehmens, das Aktienkapital zurückzuzahlen. Man muss schon andere Investoren finden, die einem den Titel abkaufen.

Hinzu kommt: In den USA haben wir zwar eine massive Privatverschuldung. Es handelt sich im Kern um Konsum auf Pump als Kompensation für die erduldeten Lohn- und Gehaltssenkungen, sozusagen um den Wechsel vom «Growing Together» der sozialen Marktwirtschaft der Nachkriegszeit zum «Growing Apart» nach der neoliberalen Wende ein Stück weit zu kompensieren, was zuweilen «privater Keynesianismus» genannt wird. (Vgl. auch hier sowie IMF: »Rising inequality enables investors to increase their holding of financial assets backed by loans to workers, resulting in rising debt-to-income ratios and thus financial fragility.») Hierzulande ist das Ausmaß konsumtiver Privatverschuldung allerdings gering; die Schuldnerquoten sind rückläufig. Die Unternehmen können wie gezeigt auch nicht die Überschuldeten sein. Natürlich sind es die Staaten, die sich beim Kapital, statt es zu besteuern, dem Steuerwettbewerb und den Steueroasen sei Dank, verschuldet haben. – Carl Christian von Weizsäcker (ausführlich hier) sieht offenbar in einer wachsenden Staatsverschuldung die letzte verbleibende Möglichkeit für das Kapital, dem Anlagennotstand zu entkommen. (Natürlich begründet er dies anders.)

Das Wettbewerbsproblem

Die Überforderung der Beschäftigten – also alle Bürger, die nicht Rentiers sind – durch die massiv angewachsenen Kapitalbestände ist nicht allein ein Verschuldungsproblem, sondern auch, ich würde sagen: vor allem, ein Wettbewerbsproblem. Man muss dabei «um die Ecke denken», nicht allein auf sichtbare Interaktionsverhältnisse schauen, etwa auf Schuldverhältnisse oder auf Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Beziehungen (innerhalb derer «Arbeitsplätze geschaffen» werden), sondern auf die systemische Macht des Wettbewerbs. Das Kapital bringt die Beschäftigten dieser Welt gegeneinander in Stellung. Das ist eine unvermeidliche Folge der Steigerung von Umsätzen, die das Investieren ja bewirken soll. Aber man erkennt dies nur schwer, was der tiefere Sinn der Formel von der «unsichtbaren Hand» des Marktes ist, die besser als «verbergende Hand» (Jagdish Bhagwati) des Wettbewerbs zu fassen wäre.

Die dadurch unter Druck Geratenen schaffen es aber nicht mehr, ihrerseits eine neue Einkommensquelle zu erschließen. Und natürlich besteht, selbst wenn sie es schaffen könnten, die ethische Frage darin, ob sie über alle Grenzen zu einer marktkonformen Lebensführung gezwungen werden dürfen. Denn der Wettbewerb, den das investierte Kapital wesentlich vorantreibt, zwingt zur Ökonomisierung der Lebensverhältnisse.

Das sind die Hintergründe dafür, dass sich das Kapital im Anlagenotstand befindet (vgl. auch exemplarisch hier oder hier). Die weiteren Aufblähungen der Vermögensbestände durch eine entsprechende Notenbankpolitik wird die Extraktionsmacht des Kapitals nur weiter erhöhen.

Es gibt hierfür keinen zwingenden Ausweg, sondern nur einen politischen. Das Kapital könnte sich auch dazu entschließen, endlich mehr seiner Renteneinkommen im Luxuskonsum zu verprassen. Plutonomy hatten dies Analysten der City-Bank im Jahre 2005 genannt: Wenn den Superreichen, den «one percent», wenn unserer Kundschaft, etwa 20-30 Prozent der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung zufließen, für die sie keine Anlage mehr finden, da das dauernde Reinvestieren keine Rendite mehr erbringt, dann, Ihr Superreichen, konsumiert die Beute doch selbst! Und investiert sodann in Euren eigenen Luxuskonsum. Wir stellen für Euch die korrespondierenden «Plutonomy Baskets» gerne zusammen.

Bei aller Kritik, die an Thomas Piketty geübt werden mag, so ist seine Botschaft doch wichtig und richtig: Es käme, statt das Kapital weiter zu hofieren und die Vermögensbestände bzw. die Schuldenstände weiter nach oben zu treiben, unter anderem vielmehr darauf an, das Kapital wieder anständig zu besteuern. Dies würde möglicherweise gar das Wachstum erhöhen – ganz ohne oder fast ohne Investitionen, jedenfalls mit Investionen in weit geringerem Ausmaß als der Bestand gegenwärtiger Geldvermögen. Weil die faktisch gehorteten und übermäßig Wertschöpfung extrahierenden Vermögensbestände in den Kreislauf zurückgeführt würden und damit aus der Abwärts- eine Aufstiegsspirale würde.