Wie die Troika die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands erhöhen will
Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomismus
Fundstücke
Mit der neuen – informellen – Rubrik «Fundstücke» möchte ich möglichst knapp, jedenfalls knapper als zumeist sonst, Dinge interpretieren und wirtschaftsethisch-kritisch einordnen, die mir auffallen – vor allem, weil sie mir besonders absurd, und zwar vor allem absurd marktgläubig erscheinen.
Heute war in den Medien zu lesen, dass das faktisch seiner Souveränität beraubte, kapital-«marktkonform» gewendete griechische Parlament ein 800 seitiges Gesetzespaket verabschiedet hat, welches den Sinn haben soll, «Strukturreformen» voranzutreiben, «die die Wettbewerbsfähigkeit des angeschlagenen Euro-Landes verbessern sollen». Sonst gibt es keinen weiteren Kredit und dem Staate Griechenland droht die Insolvenz.
«Strukturreformen» hin zu mehr Wettbewerbs- und Markt- bzw. Renditeorientierung können natürlich vor allem da greifen, wo der «freie» Markt durch Regulierungen diverser Art «geknebelt» wird. (Übrigens, etwa bei Robert Reich (S. 38 ff.) kann man nachlesen, welche Fülle von teilweise eigenartig anmutenden Formen der Regulierung im «Beinahe Goldenen Zeitalter» der Nachkriegszeit etwa der USA gang und gäbe waren, die allesamt den Sinn hatten, den ansonsten ungestümen Wettbewerb zu zähmen – und die genau dadurch zum Wohlstand für alle statt für wenige führten.) Nun, in Griechenland darf die Milch nicht länger als fünf Tage nach dem Verlassen aus der Molkerei in den Regalen stehen. Vom Standpunkt gesunder Milch wohl eine sinnvolle Regelung. Nach Ansicht der Wettbewerbsanbeter liegt der eigentlich Sinn natürlich darin, dass so die einheimischen Produzenten vor Ort vor «unliebsamer» – aber «heilsamer» – ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Und «Protektionismus» (ließ: Regulierung) ist natürlich des Teufels.
Nun sollen sie sich dem «Leistungswettbewerb» stellen, indem diese Regulierung abgeschafft oder jedenfalls aufgeweicht wird. An «Wettbewerbsfähigkeit» – und damit, das ist ja wohl der Sinn, der Fähigkeit, den Rentiers den verlangten Schuldendienst zu leisten – soll Griechenland also unter anderem dadurch gewinnen, dass nun ausländische Großmolkereien – vielleicht: Müller-Milch? – sich an der (verbleibenden) griechischen Kaufkraft der Normalbürger gütlich tun dürfen. Wie bitte? Man reibt sich verwundert die Augen. Aber wozu sollte diese Deregulierung der Molkereien denn sonst führen. Was passieren dürfte ist ja das Folgende: Überregionale bzw. ausländische Massenproduktion verdrängt qua Billigangeboten die lokalen Anbieter, womit deren Beschäftigte arbeitslos werden. (Und die innergriechische Solidarität dürfte kaum ausreichen, den Versuchungen des Billigangebots zu widerstehen – da dies die moralische Verbindlichkeit (S. 178 ff.) überfordert –, so dass die griechischen Bürger als Konsumenten andere griechische Bürger – nämlich Produzenten in der Milchbranche – auf die Straße setzen. So funktionieren «offene Märkte».)
Aber warum sollte dies «die Wettbewerbsfähigkeit» Griechenlands – bzw. die der dort Beschäftigten – erhöhen? Es senkt sie doch gerade faktisch, was sich daran zeigt, dass nun noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen (und überdies Kaufkraft aus dem Land geschaufelt wird). Ich habe keine Ahnung, ob dies die «Troika» erkennt. Vielleicht glaubt man einfach, jede Entfesselung der Marktkräfte erhöhe «die Wettbewerbsfähigkeit» und dies wiederum sei gut – für die Rentiers? (Hier: Die Aktionäre von Müller-Milch etwa.) Vielleicht ist das Ganze aber perfider, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn was sollen die nun bald entlassenen Beschäftigten des griechischen Milchsektors tun? Da die sozialen Sicherungssysteme weitgehend geschliffen wurden, bleibt ihnen nur übrig, «lebensunternehmerisch» nach neue Einkommensquellen Ausschau zu halten. Und sich dabei überhaupt zum «eigenverantwortlichen» marktlichen Selbstbehauptungssubjekt zu wandeln, gestählt im «freien» Marktwettbewerb. Und vielleicht springt dabei, je nach «Findigkeit», die eine oder andere neue Einkommensquelle heraus, an der die (investierenden) Rentiers, die die Troika offenbar vertritt, schon ihren Anteil nehmen werden. Oder es gelingt ihnen nicht, sie sind überfordert. Dann sinkt die Fähigkeit des Schuldendienstes weiter. Aber es bleibt ihnen ja gar nichts anderes übrig. Das «Diktat der leeren Kassen» (Giersch) und die Instanzlosigkeit bzw. Undurchschaubarkeit der Marktmachtverhältnisse wird schon dafür sorgen. Das jedenfalls glauben die Neoliberalen, und es bezweifeln die Keynesianer (die immerhin implizit das Konzept wettbewerblicher Überforderung kennen).
Die Sache mit der Milch ist natürlich nur ein winziges Beispiel. Wofür? Offenbar dafür, den Rentiers dieser Welt eben diese Welt als Renditeobjekt zu Füssen zu legen. Und wer kauft das dann alles, wenn die Leute ärmer werden und folglich an Kaufkraft verlieren? Die Rentiers selbst? Plutonomie hin oder her, ihr «Hochleistungskonsum» (Werner Vontobel) wird dazu nicht ausreichen. Und die Blase wächst folglich weiter.