26. September 2012
Wer profitiert von der «marktkonformen Demokratie»?

Ulrich Thielemann
Kategorie: Freiheit

Livestream - 26. September 2012, 18.55-21.00

 

«Auslauf-Modell Parlamentarismus. Wer profitiert von der "marktkonformen Demokratie"?» – unter diesem Titel diskutiere ich heute Abend in einer von Thomas Leif (Chefreporter Fernsehen beim SWR) geleiteten Runde im Hambacher Schloß.

Hier der Link zur Aufzeichnung.

Im Folgenden meine Antworten auf die von der Redaktion im Vorlauf gestellten Fragen:

1. Welche Gefahr und Brisanz steckt in der Aussage der Bundeskanzlerin «die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist» (Pressestatement vom 1.9.2011)?

Damit wird ausdrücklich anerkannt, was schon lange schwelend gilt (aber keine Gültigkeit beanspruchen kann), dass nämlich der Demokratie, der Herrschaft des Volkes (Volkssouveränität), stillschweigend eine gleichsam «unsichtbare» Macht vorgeschaltet ist, die jener die Vorgaben macht. Dies ist die Macht der Märkte und vor allem der Kapitalmärkte. Statt den Markt zu regulieren und ihm eine gute Ordnung zu geben, definieren die Marktmächte schon seit geraumer Zeit, was «gute» Politik zu sein hat, nämlich vor allem und letztlich eine solche, die den unstillbaren Renditewünschen der Rentiers entspricht. Dass dies von Exponenten der Politik – der Kanzlerin – ganz offen ausgesprochen wird (wenn man auch merkte, wie Merkel um Worte rang, um auszusprechen, was schon lange die stillschweigende Maßgabe der Politik ist), ist ein Novum. Dem ist entgegenzuhalten: Nicht die Politik hat «marktkonform» zu sein, sondern das Marktgeschehen demokratiekonform. – Die Aussage selbst ist insofern gefährlich, als in hier die Hinnahme des Endes demokratischer Volkssouveränität ausgesprochen wird. Im Skandalon der Formulierung von Verhältnissen, die offenbar nicht hinnehmbar sind, steckt allerdings der Keim der Überwindung dieser Selbstentmündigung der Politik. Selbstverständlich kann die Rückgewinnung von Volkssouveränität nur weltinnenpolitisch gelingen.

2. Wohin führt dieses Bekenntnis, angesichts des Unvermögens der Politik und der Zurückhaltung des Finanzsektors bei der Bekämpfung der schwelenden Krise?

Soweit die Aussage nicht schiere Verzweiflung signalisiert, sondern tatsächliches Bekenntnis ist, besiegelt sie die Selbstentmachtung der Politik zugunsten der Interessen der Marktmächte, vor allem des Kapitals. Wenn die politischen Entscheidungsträger damit durchkommen und mit «marktkonformen» Programmen (die häufig als solche der «Wirtschaftskompetenz» verbrämt werden) Wahlen gewinnen, dann liefe dies auf einen gesellschaftlichen Fromwandel hinaus: weg von der politischen Freiheit der Gestaltung der Märkte hin zur vollständigen und dabei aktiv betriebenen Ökonomisierung der Gesellschaft. Die «Krise» wäre dieser Sicht zufolge dann gewältigt, wenn die Renditeinteressen der Rentiers, durch «Reformen» und «Konditionaltitäten», befriedigt wären – was allerdings, ob ihrer Unstillbarkeit, niemals der Fall sein wird.

3.Entscheidet das Volk, droht Gefahr für den Euro und die Märkte oder warum genießen wirtschaftsnahe Technokraten in Italien und Griechenland ein solch hohes Maß an internationaler Legitimität (siehe Schirrmacher FAZ, 1.11.2011)? Welche Gefahren bestehen in der Installation von «Technokraten» statt legitimierter Politiker?

Die «Technokraten» strahlen «Wirtschaftskompetenz» aus, und diese besteht darin, «den Märkten» (dem Kapital) das «Vertrauen» zu geben, dass ihre Renditewünsche schon befriedigt werden. Unter der Bedingung der Erlaubnis der Finanzmärkte, nur mehr formal souveräne Staaten gegeneinander auszuspielen, ist die Installation von «Technokraten» sogar «rational». Damit allerdings rückt die Option der Bändigung des Kapitals in weitere Ferne, denn diese ist den als «Agenten» der «Prinzipale» – dies ist Bwl-Jargon; gemeint ist das Kapital – geschulten Akteure ganz fremd.

4. Ist weniger Demokratie besser für die Märkte? Warum werden die Bürger nicht stärker einbezogen und befragt?

Unter der Herrschaft «der Märkte» ist Demokratie überflüssig. Denn was «richtige» Politik ist, ist dann bereits vorentschieden und kann dann von «Experten» oder «Technokraten» vollzogen werden. Eine Einbeziehung der Bürger hilft nur dann weiter, wenn erstens die «unsichtbaren» und schwer durchschaubaren Zusammenhänge besser verstanden werden und zweitens die Option einer supranational abgestimmten Politik, die allein eine Bändigung der Kräfte des Kapitals (und weiterer Marktmächte) erlaubt, in den Blick gerät. Ansonsten dürften die Bürger zur Ansicht gelangen, eine «marktkonforme» Politik wäre die einzig mögliche und richtige.

5.Verliert der Bundestag seine bedeutende Kontrollfunktion der Regierung, weil heikle politische Entscheidungen übereilt und zum Zwecke der Beruhigung der Finanzmärkte gegen die Interessen der Bürger getroffen werden?

Es geht ja nicht nur um Kontrolle, sondern um die gesetzgeberische Wahrnehmung der Volkssouveränität durch das Parlament. Wir haben es hier nicht mit einem Konflikt zwischen Regierung und Parlament zu tun, sondern mit einem breitenwirksamen Mangel der Einsicht in die tatsächlichen Kräfte, die auch noch das politisch-gestalterische Handeln bestimmen. Das Skandalon besteht letztlich darin, dass diese Kräfte nicht naturalen, sondern personalen Ursprungs sind, ihr Wirken aber als eine quasi-natürliche «Tatsache» hingenommen wird. Nur darum lässt sich von einem Verlust der politischen Freiheit sprechen. – Die Überwindung einer «marktkonformen» Politik besteht auch nicht einfach in der Entmachtung «der Märkte», sondern in einer (notwendigerweise supranationalen) Politik, die auf der Einsicht fußt, dass sich hinter den bislang weitgehend naturalisierten Kräften Interessen und Interessenkonflikte verbergen, die fair aufzulösen sind. «Die Finanzmärkte», das sind letztlich auch wiederum «Bürger». Nur wird ihnen (oder einigen von ihnen) prinzipiell Recht gegeben bzw. ihre Macht hingenommen, statt gebändigt, worin die «Marktkonformität» überhaupt besteht. – Insoweit ein Abbau von Vermögensbeständen ethisch (!) alternativlos ist, stellt sich hier etwa die Frage, welchen Gläubigern welche Schuldenschnitte zuzumuten sind. (So fordert Helge Peukert einen «ehrlichen wirtschaftsethischen Diskurs über die Lastenverteilung bei den anstehenden Radikalreformen».)

6.Wie viel demokratischer Kontrolle bedarf es auch in Zeiten massiver politischer Verwerfungen in Europa?

Dies ist erstens weniger eine Frage der «Kontrolle», sondern der demokratischen Selbstbestimmung, und zweitens keine quantitative Frage. Ausgangspunkt der Zurückgewinnung von Volkssouveränität auch auf europäischer Ebene ist erstens die Einsicht in die Verfehltheit einer naturalisierenden Politik, der sich auch noch die EU verschrieben hat – mit der Lissabon-Strategie, die eine Art übergreifendes EU-Mantra bildet und die die EU im Ganzen zu einem auf «Wettbewerbsfähigkeit» auszurichtenden Unternehmen im Großformat werden lässt –, so dass die anderen wirtschaftlichen Großmächte, vor allem die USA und China, nicht gleichsam als Konkurrenzunternehmen um die Gunst des global nach rentabler Anlage suchenden Kapitals erscheinen, sondern als ebenso demokratische Partner der «Gestaltung der Globalisierung» (Angela Merkel [sic!] 2008). Und zweitens wäre eine solche Politik weg vom «Marktgehorsam» hin zur Bändigung der Marktkräfte (in der Art eines gewissen globalen wettbewerblichen Waffenstillstandes) natürlich aktiv zu vollziehen.