11. März 2013
Weltwirtschaftsethos auf Abwegen

Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomismus

Wie der Ökonomismus das Weltethos vereinnahmt hat

 

Soeben erhielt ich eine Einladung zum «1. Wirtschaftsethischen Salon des DNWE [Deutsches Netzwerk Wirtschaftsethik] in Berlin». Thema: «Ein Weltwirtschaftsethos als Prämisse unternehmerischer Entscheidungen in der Praxis?»

Ich dachte eigentlich, das mit dem «Weltwirtschaftsethos» hätte sich erledigt. Nicht mit einem, sondern mit dem «Weltwirtschaftsethos», welches Hans Küng bei Josef Wieland in Auftrag gegeben hatte.

Wieland hat Küng voll über den Tisch gezogen. Dies gelang ihm durch den Schlüsselbegriff der «Kooperation», der in der ökonomischen Auslegung eine ganz andere und geradezu konträre Bedeutung hat als in der alltagssprachlichen Verwendung. Hier meint er ein an wechselseitig teilbaren und einsehbaren Gründen orientiertes soziales Handeln, welches auch Momente der Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft einschließt. Er entspricht in etwa dem, was die Sozialenzyklika «Unentgeltlichkeit» nennt. Dabei ist Kooperation durchaus wechselseitig vorteilhaft, aber nicht streng. Man unterstützt den anderen, wenn dieser Unterstützung nötig hat, wenn also gute, wechselseitig einsehbare Gründe dafür sprechen; natürlich nur, wenn man es «kann», d.h. wenn es zumutbar ist. Und man selbst wird ebenso unterstützt, wenn es denn notwendig ist. Dies ist der Normalfall menschlicher Zusammenarbeit. – Alltagsbeispiel: «Reich mir doch mal den Schraubenzieher rüber.»

Im ökonomischen bzw. ökonomistischen Verständnis hingegen ist der Vorteil des einen wie des anderen die Maßgabe der Interaktion bzw. der «Kooperation». Hier unterstützt man den anderen (man leistet, man zahlt), weil und insoweit es vorteilhaft ist. («Reich mir doch mal den Schraubenziher rüber.» «Und was springt für mich dabei heraus?») Der Grund, warum man es tut, ist immer der gleiche: der eigene Vorteil (natürlich der langfristige, nicht der kurzfristige bzw. kurzsichtige), und zwar im Vergleich zu anderen Alternativen. Ob der andere Unterstützung nötig hat, spielt überhaupt keine Rolle. Beide Seiten teilen überhaupt keine Gründe («methodologischer Individualismus»). Sie sind diesbezüglich miteinander «fertig» (Hegel). Zwischen den «Kooperierenden» besteht nicht ein Verhältnis der Intersubjektivität – die Perspektiven sind nicht austauschbar –, sondern das der «Interobjektivität». Maßgeblich ist die Macht (die «Kooperationsfähigkeit»), mit der der eine des anderen Vorteilsbilanz beeinflussen kann. Dies ist der Interaktionsmodus, den Jürgen Habermas «strategisches Handeln» nennt. Was wir umgangssprachlich unter «Kooperation» verstehen – soweit wir nicht ökonomistisch verbildet sind –, nennt Habermas «kommunikatives Handeln».

Durch den Hinweis, dass die Moral dem «wechselseitigen Vorteil» dienen, also auch zum Vorteil der "Täter", etwa der Marktmächtigen, ausfallen müsse (Ethik des "Win-Win"), erhalten leerformelhaft aufgezählte Begriffe wie «Verantwortlichkeit, Solidarität, Fairness, Toleranz und Achtung» einen ökonomistische Twist und eine entsprechende Umdeutung. Diese Leerformelhaftigkeit kritisiert etwa Paul Gregory. Dies ist vielleicht auch ein möglicher Fokus der Kritik. Meine Kritik zielt allerdings aufs falsche Prinzip, welches hier vertreten wird, nicht auf einen Satz substantieller Normen (vgl. zur Differenz hier). Was letztere anbelangt, so bleibt das «Weltwirtschaftsethos» weitgehend gehaltlos. Der Inhalt kommt dann hinein, wenn sich in der Praxis herausstellt, welche «Eigeninteressen» «wechselseitig vorteilhaft», also durchsetzbar sind, wodurch sie als «legitim» zu gelten haben. Wo der Punkt des jeweils «relativ absolut absoluten» (James M. Buchanan) Machtgleichgewichts ist, ist eine schwierig und nur situativ zu beantwortende Frage (denn die Machtverhältnisse ändern sich ja, und zwar je mehr, desto «unbändiger» [Homann] die Akteure nach eigenen Vorteilen streben), auf die Josef Wieland, ebenso wie andere Berater, seinen Auftraggebern sicher hochinstruktive Antworten zu geben in der Lage ist.

Da mir im Moment die Zeit fehlt, eine systematisch aufgebaute Kritik des sog. «Weltwirtschaftsethos» zu verfassen, erlaube ich mir, meine spontan verfassten Kommentare zum Text hier einzustellen. Hilfreich zum Verständnis dafür ist Kapital III von Das Prinzip Markt sowie viele weitere Texte auf dieser Website.