27. Mai 2020
Warum ich beim DNWE ausgestiegen bin

Ulrich Thielemann
Kategorie: Orientierungen, Ökonomismus

Es ist zwar schon eine Weile her, dass ich meine Mitgliedschaft beim Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik gekündigt habe (es war im Oktober 2018), aber vielleicht ist meine Begründung ja von allgemeinem Interesse. Der Anlass ist, dass soeben die Ankündigung zum Einzug meines Mitgliedsbeitrags 2020 hereintrudelt... Wohl ein technisches Problem.

Hier also meine Begründung von damals, die ich dem Vorstand auf seinen Wunsch hin darlegte. Adressiert war sie an die Leiterin der Geschäftsstelle Berlin.

 

Sehr geehrte Frau Dr. Raschke,

erst heute komme ich dazu, Ihnen zu antworten.

Die Kündigung meiner Mitgliedschaft hat keinen konkreten aktuellen Anlass. Ich trage mich schon seit langem mit dem Gedanken, beim DNWE auszusteigen. Mir ist die Ausrichtung des DNWE einfach deutlich zu affirmativ. Dass wir im Zeitalter der dynamischen Ökonomisierung of everything stehen (darunter auch der wachsenden Rentabilisierung aller noch nicht vollständig auf Rentabilität ausgerichteten Momente innerhalb der Unternehmen) und politisch im rezenten Neoliberalismus, ist dem DNWE Anathema oder wird gar weiter befeuert. Habe gerade mal spaßeshalber die DNWE-Website nach «Neoliberalismus» durchsucht: kein Ergebnis.

Nun war das DNWE niemals besonders kritisch ausgerichtet. Mir scheint allerdings, seitdem die (aus meiner Sicht: marktextremistisch ausgerichtete) Homann-Schule eine stärkere Rolle spielt beim DNWE, ist die Affirmation – für mich jedenfalls – schwer erträglich. Warum soll ich dafür auch noch €80 jährlich zahlen?

Routinehaft wird der Business Case vertreten und damit die Verbindlichkeit unbeschränkter Erfolgsrationalität vorausgesetzt. Ethik des Win-Win eben. Nur ein paar aktuelle Beispiele (aus der Jahresschrift 2017): «Ethik» oder was dafür ausgegeben wird, diene der «erfolgreichen Zielerreichung» (Andreas Suchanek) oder ist Ausdruck einer «Zusammenarbeit zum wechselseitigen Vorteil» (Josef Wieland) – also auch des "Täters". – Gegenstimmen: praktisch keine (erfreulich der Beitrag von Thomas Kuhn und Jürgen Weibler im Jahresheft 2017. Aber das ist ja eine seltene Ausnahme).

Warum eigentlich wird dies alles unter dem Rubrum «Ethik» thematisiert? Weil die Erklärung der Verbindlichkeit unbedingter Erfolgsrationalität («langfristig», nicht kurzsichtig, versteht sich), die m.E. den Kern der klassischen und neoklassischen Ökonomik immer schon gebildet hat, eine Rechtfertigungsfrage ist und damit, was sich die Ökonomik nie eingestehen wollte, der «Ethik» zuzurechnen ist? Oder weil man eher weiche Erfolgsfaktoren dem Management nahebringen möchte, die dem Rubrum «Ethik» zugeschlagen werden, so dass «Ethik» zu einer Managementtechnik wird bzw. zu einem Segment erfolgreicher Unternehmensführung (insbesondere des «Risikomanagements»). Sie diene der «Erfüllung der Stakeholder-Erwartungen» (bekanntlich der mächtigen bzw. der – für den Geschäftserfolg – «wesentlichen»), «um nachhaltig erfolgreich agieren zu können» (Grüninger/Wanzeck).

Natürlich kann man dies vertreten. Aber ich muss keinen Verein angehören, der keinerlei Interesse hat, die Gegenstimmen zu würdigen – die einschlägigen Gegenargumente, die nicht nur die St. Galler Schule der WE vorgebracht hat, sollten ja bekannt sein –, die es m.E. unmöglich machen, «Ethik» weiterhin diskussionslos im Win-Win Modus (und damit just diesen rechtfertigend) zu vertreten. Doch wie sagte noch Rolf Stürner (Markt und Wettbewerb über alles?, S. 130): Heute scheint «der Gedanke offenbar unvermarktbar, dass es "business ethics" geben könnte, die nachhaltig gewinnmindernd [natürlich relativ zum anvisierten Gewinnmaximum, U.T.] wirken könnten».

Mir fällt da beispielsweise die Jahresschrift 2016 zum Thema «Solidarität» ein. In dieser ging es praktisch allen Autoren durch alle aufgebauten Komplexitäten hindurch darum, «Solidarität» als mit dem Homo oeconomicus vereinbar zu erklären – als «Investition» (Birger Priddat), als «Lernprozess» für das Finden «gemeinsamer Interessen» (Josef Wieland), als Resultat von im «Markt» erfüllbaren «Gewinnerwartungen» (Jörg Althammer), als Problem, das als solches definitionsgemäß durch «das Modell rationaler Nutzenmaximierung» zu fassen sei, womit eine solcherart verstandene «Solidarität» sich «als Lösungsmechanismus für zentrale Kooperationsprobleme» anbiete (Ulf Tranow). Der tiefere Sinn ist offenbar, die Verbindlichkeit unbedingter Erfolgsrationalität zu markieren – meist eher en passant statt (wie die alte Homann-Schule) offen und frontal (was ja selbst eher nicht die gewünschten Akzeptanzwirkungen bewirkt).

Ich muss nicht Mitglied eines dem Namen nach wirtschaftsethisch ausgerichteten Vereins sein, dessen Vorstand ein Mitglied angehört, der über den «ethischen Sinn des Wettbewerbs» fabuliert und der Kritikern dieser Sinnzuschreibung, so er sie zur Kenntnis nimmt, nur polemisch, aber nicht ernsthaft begegnet. Der Sinn des DNWE bestünde dann wohl darin, «Botschafter des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs» zu sein und Ansprüchen an eine verantwortungsvolle Unternehmensführung allenfalls solange eine Berechtigung zuzusprechen, bis ein solches Wettbewerbsregime noch nicht vollständig etabliert ist, wofür TTIP etc. nur ein «Zwischenschritt» sei.

Ich muss auch nicht Mitglied eines Vereins sein, der Konzernlobbyisten wie Michael Hüther, der niemals gegen, sondern stets für die Interessen des «Unternehmerkapitals» (Hans-Werner Sinn) spricht, immer wieder eine Plattform bietet, ohne dass eine Gegenstimme zu Wort käme und ohne dass erkennbar würde, dass sich hier Interessenkonflikte zumindest auftun könnten. Dementsprechend fällt die Botschaft aus: Unternehmensverantwortung sei nur im Falle von Marktversagen («Unvollkommenheiten») notwendig und dann so auszurichten, dass sie der «gesamtwirtschaftlichen Effizienz» im Allgemeinen dient (konkret wohl: der Steigerung des BIPs Deutschlands vor allem, da die Nachfrage in D. angesichts der Lohnmoderation zu schwach ist, durch Leistungsbilanzüberschüsse bzw. Export von Arbeitslosigkeit) und der Steigerung des «unternehmensspezifischen Reputationskapitals» im Besonderen. Letzteres insbesondere vermittels durch von Unternehmen (und ihren PR-Agenturen) betriebe «Aufklärung der Bürger». Gibt es da eigentlich keine Differenz zwischen dem DNWE und der INSM?

Es macht für mich einfach keinen Sinn, beim DNWE dabei zu sein. Und ein wenig wundere ich mich, dass Sie sich darüber wundern. Ich erinnere mich an eine Sitzung im Vorstand des DNWE vor vielen Jahren (damals unter dem Vorsitz von Albert Löhr), bei der ich in Vertretung von Peter Ulrich teilnahm. Dabei war es, soweit ich mich erinnere, auch meiner Initiative geschuldet, dass das DNWE, seinem Namen entsprechend, sich als «Forum für alle Personen und Institutionen, die im deutschsprachigen Raum an wirtschaftsethischen Fragen interessiert sind» versteht, da «Fragen der Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik nach wie vor kontrovers diskutiert» werden – und wohl auch dauerhaft kontrovers bleiben. Und ich sehe gerade, dies ist ja immer noch die Satzung bzw. ein Teil der «Leitsätze» des DNWE.

Dahinter kann ich nach wie vor voll stehen. Aber ich kann dies nicht in der gegenwärtigen und bereits seit vielen Jahren so betriebenen Ausrichtung des DNWE erkennen. Natürlich könnte man jetzt sagen, ich möge mich doch beim DNWE selbst mehr engagieren, um die satzungsgemäße Pluralität zu stärken und den «offenen Dialog über moralische Orientierungen bei der Gestaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung» und bei der Ausrichtung unternehmerischen Handelns zu befördern. Doch würde dies wohl ein arger Kampf gegen so ziemlich alle gegenwärtigen Kräfte innerhalb des DNWE, was doch etwas gar aufreibend wäre. Ich habe einfach andere zeitliche Prioritäten. Und überdies ist Sicherstellung von Pluralität ja auch die Aufgabe eines jeden amtierenden Vorstandes, der angehalten ist, «nicht [als] Sachwalter eines bestimmten wirtschaftsethischen Interesses» bzw. Standpunktes zu agieren.

Ich hoffe, Sie haben Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Thielemann

Berlin, 15. November 2018