Wachstum muss sein – Warum nur?
Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomismus, Freiheit
Nach Verkündung positiver Wachstumsprognosen für die EU meint EU-Kommissar Olli Rehn: «Das heißt nicht, dass wir uns zurücklehnen können.»
Wachstum bedeutet, dass es den Beschäftigten gelang, den Wettbewerbsdruck, dem sie unterstehen, zu parieren. Darum drängt alles zum Wachstum. Darum ist die Erleichterung groß, wenn die Wirtschaft wächst. Darum müssen wir wachsen. Nicht weil wir noch mehr konsumieren wollten. Sondern weil wir – oder jedenfalls: viele – sonst beschäftigungs- und somit einkommenslos würden.
Natürlich üben die erfolgreichen Beschäftigten damit wiederum auf andere Beschäftigte Wettbewerbsdruck aus, und zwar im Verein mit dem Kapital. Und so wird der Wachstumszwang, der ein Wettbewerbszwang ist – ein Zwang, die «Wettbewerbsfähigkeit» mindestens zu erhalten – perpetuiert und ins Unendliche festgeschrieben. Wir sollten uns aber in Freiheit fragen, ob wir dies noch wollen, ob das Wachstum (genauer: der Wettbewerb) noch dem «guten Leben» dient, ob wir uns nicht doch auch einmal «zurücklehnen» möchten, statt das Leben immer stressiger, durchtakteter, ökonomisierter, kalkulierter werden zu lassen, um der Muße wieder mehr Raum zu geben. Und wir müssen uns fragen, ob die besonders Wettbewerbsfähigen und -willigen – im Verein mit dem Kapital – den Rest zu eben diesem Leben zwingen dürfen.
Warum eigentlich ist dieser Zusammenhang – zwischen «Schöpfung» und «Zerstörung», Vorteilstausch und Wettbewerbsdruck, der Schaffung und der Zerstörung von Arbeitsplätzen – so schwer zu verstehen? Würde er verstanden, wäre ja sofort klar, dass das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) Arbeitsplätze zerstören muss, und zwar gerade dadurch, dass ein paar neue geschaffen werden. (Dies erkennt etwa IG-Metall Chef Detlef Wetzel: «Liberalisierung bringt immer eine Verschärfung des Wettbewerbs mit sich.») Doch sitzen da auf Seiten der Politik und ihrer ökonomistisch geschulten Scherpas offenbar durchwegs Wettbewerbsgläubige. (Und auf der anderen Seiten die Rentiers und ihre radikalisierten «Agenten», für die vor allem TTIP ein weiteres Geschenk wäre.) Politiker hüben wie drüben, praktisch aller Couleur, nehmen einen Abbau von sozialen und ökologischen Bürgerrechten und einen Verlust an demokratischer Souveränität (qua sog. «Investitionsschutzabkommen») in schier unglaublichem Ausmaß in Kauf, für – vermutlich «netto» – prognostizierte Beschäftigungszuwächse im Nullkomma-X-Umfang, was den federführenden EU-Handelskommissar Karel de Gucht dann auch ins Stottern geraten lässt: (ab Minute 6:00). – Die Antwort de Guchts sollte ob seines Gewichts eigentlich ausreichen, das Ganze zu Fall zu bringen. Die Welt, die im «Superkapitalismus» angekommen ist, braucht nicht noch mehr Freihandel und noch mehr Wettbewerb, sondern im Gegenteil globale Waffenstillstandsabkommen.