27. August 2019
Verschärftes Unternehmenenssanktionsrecht

Ulrich Thielemann
Kategorie: Compliance, Regulierung

Anfang vom Ende der Hegemonie des Neoliberalismus?

 

Hans-Werner Sinn hatte 2005 eher unfreiwillig die Quintessenz des neoliberalen Programms auf die Formel gebracht: «Deutschland (wie die Politik eines jeden Landes) muss das Unternehmerkapital hofieren». Die Folge war, wie Michel Foucault (S. 168) bereits Ender der 1970er aus den Schriften der Ordoliberalen herauslas, «ein Staat unter Aufsicht des Marktes» statt «ein Markt unter Aufsicht des Staates», d.h. demokratischer Politik. Die Folge war eine Politik, die zwar noch politische Entscheidungen trifft, «aber nicht mehr gegen die Interessen der Konzerne» (Bode 2018, S. 183). Das «Wohlergehen der Konzerne» wurde zur «Staatsräson» (S. 41). Beispiel gefällig? Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) möchte die Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung davon abhängig machen, ob sie «von den Unternehmen akzeptiert» wird. Vermutlich erblickt er darin, und mit ihm der überwiegende Teil der Journalisten, seine «Wirtschaftskompetenz», die sich vor allem im Hofieren des Kapitals ausspricht, worin die neoliberal gewendete, heute weitgehend noch vorherrschende Agenda-Sozialdemokratie Konservative und (Wirtschafts-)Liberale meint(e) überbieten zu können.

Möglicherweise ist diese Hegemonie «marktkonformer» Politik derzeit an ein Ende gekommen.

Natürlich könnte man jetzt darüber philosophieren, ob eine die Unternehmen «hofierende» und eine «marktkonforme» Politik identisch sind. Ordoliberale im ursprünglichen Sinne wie überhaupt all jene, die meinen, die «Gier» der Unternehmen (also Gewinnmaximierung) würden das Kernprinzip der Marktdynamik, den Wettbewerb, zerstören, würden widersprechen, ich wiederum ihnen (vgl. hier, insbesondere Kapitel 3). Festzuhalten bleibt ja immerhin, dass Unternehmen mindestens im gängigen Verständnis im besonderen Maße marktkonform handeln bzw. «unternehmerisch» Handelnde als «marktnahe Personen» gelten und im Ökonomismus eine privilegierte Stellung einnehmen (vgl. Ötsch, S. 55). Überdies lässt sich der Neoliberalismus ja auch als Rechtfertigung bedingungslosen Erfolgsstrebens fassen.

Unter der Federführung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wurde ein Gesetzesentwurf erarbeitet (der allerdings öffentlich noch nicht vorliegt), um unternehmerisches Fehlverhalten deutlich schmerzvoller zu ahnden als bislang. Zwar ist aus rechtssystematischen Gründen kein Unternehmensstrafrecht anvisiert (vgl. hier). Allerdings sieht der Entwurf «Sanktionen» in Höhe von bis zu 10 Prozent vom Umsatz vor (denn die bisherigen 10 Millionen Euro waren für Großunternehmen nur Peanuts, auch wenn der geldwerte Vorteile aus gesetzwidrigem Verhalten einbehalten werden konnte, was selbstverständlich nicht abschreckt, sondern nur den Nullpunkt der Einpreisung benennt, was für die Unternehmen heißt: dann ist der Versuch halt gescheitert). Und er sieht sogar die Auflösung des Unternehmens vor, so dieses als kriminelle Vereinigung einzustufen ist (Vorsicht Deutsche Bank; vgl. hier und hier), die Pflicht der Staatsanwaltschaften zur Ermittlung bei Verdachtsfällen (Legalitätsprinzip wie im Strafrecht statt Opportunitätsprinzip wie im Ordnungswidrigkeitsrecht), Mitwirkungspflichten der Unternehmen, Strafmilderung bei anspruchsvoll definierten eigenen Compliance-Anstrengungen und die Bekanntmachung der Verurteilung in Fällen vieler Geschädigter (offenbar um die «Reputationsrisiken» zu erhöhen).

Delegitimation von Gewinnmaximierung

Interessant ist, dass die Justizministerin das Gesetzvorhaben mit genuinen Gerechtigkeitsargumente rechtfertigt (vgl. hier, leider hinter der Bezahlschranke) – und nicht etwa mit einem Business Case (S. 7 f.) bzw. dem Angebot, Unternehmen aus dem «Gefangenendilemma» (S. 13 f.) herauszuhelfen, in das sie durch ihre «Kurzsichtigkeit» gerieten. Zunächst geht es natürlich darum, gesetzeswidriges Verhalten zu unterbinden und solche Unternehmen «zur Rechenschaft zu ziehen», deren «führende Leute den Profit auf kriminelle Weise maximieren».  Aha, man kann also auch Gewinnmaximierung auf «kriminelle Weise» betreiben. Die Gretchenfrage ist: kommt dabei am Ende mehr oder weniger Gewinn (Kapitalgewinne eingeschlossen) heraus? Ist es also Gewinnmaximierung oder dessen Verfehlung? Die Antwort ist eindeutig. Man muss dafür nur zu Ende denken, was der Begriff bedeutet: Ja, es kommt am Ende mehr dabei heraus, wenn die Konstellation, wenn die Erfolgsbedingungen bzw. die Constraints, die Chancen und Risiken bestimmen, so gestrickt sind.

Denn Gewinnmaximierung ist in sich (rentabilitäts-)extremistisch ausgerichtet. Der Begriff bedeutet ja: alles daransetzen, dass die Gewinne so hoch wie möglich ausfallen. Mit Daniel Deimling formuliert: «Wenn der Profit durch das Nicht-Einhalten von Gesetzen langfristig höher ist als im Falle der Gesetzestreue, werden Gesetze [unter der Ägide radikaler Gewinnmaximierung, A.U.T.] systematisch gebrochen.» Das sieht Thomas Beschorner ganz genau so: Wenn die Akteure konsequent der «ökonomischen Logik» (die «Chancen» gegen «Risiken» aufrechnet) folgen, dann rechnen sie den Faktor «Strafmaß mal Entdeckungswahrscheinlichkeit» gegen den Faktor «potenzieller ökonomischer Gewinn» auf. Und wenn dieser Faktor höher ausfällt als jener Faktor, dann wird es gemacht. Verräterisch ist ja bereits, Gesetzesverstöße als «Rechtsrisiken» zu bezeichnen (und moralische Verfehlungen als «Reputationsrisiken») und also einpreisen. Hier einige Beispiele:

  • Wenn beispielsweise das höchste jemals ausgesprochene Bußgeld für einen Verstoß gegen das Geldwäschegesetz in Deutschland 51.000 Euro beträgt, dann, so Harald Schumann, «geht das locker als Gebührenaufschlag für den Schwarzgeldservice durch».
  • Wenn Purdue Pharmaceuticals, hinter dem die Milliardärsfamilie Sackler steht, bislang 35 Milliarden Dollar am (angeblichen) Medikament Oxycontin, das wesentlicher Auslöser der in den USA grassierende Opioid-Epidemie ist, verdient hat, für die Irreführung der Kunden bzw. Patienten über das Abhängigkeitspotential des Stoffes aber nur 635 Millionen Dollar bezahlt hat, dann zeigt dies dem zynisch Kalkulierenden, dass die Rechnung aufgegangen ist. Um sich vom «Risiko» einer privatrechtlichen Klagewelle zu befreien bzw. um den 35-Milliarden-Schatz nicht dann doch noch substantiell geschmälert zu sehen, setzt das Management des Unternehmens noch eins drauf, indem es die Klagen durch Missbrauch des Konkursrechts ins Leere laufen lassen will.
  • Das Management von Du Pont (heute DowDuPont) wusste durch eigene Untersuchungen und externe Hinweise sehr genau, dass der für die Teflonproduktion verwendete Grundstoff gesundheitsgefährlich war («Teflon-Grippe»), entschied sich aber gegen die Entwicklung bzw. den Einsatz einer weniger schädlichen Ersatzsubstanz und auch gegen den Einsatz von, sogar relativ preiswerten, Umweltschutzmaßnahmen, da es kalkulierte, dass der Gegenwartswert der Fortsetzung und Steigerung des Absatzes des Produktes über viele weitere Jahre höher lag als der entgegenstehende Gegenwartswert bzw. -schaden voraussichtlicher zukünftiger Strafzahlungen – angesichts der geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit und angesichts der eigenen Handlungsmöglichkeiten, diese durch die Unterdrückung von Informationen gering zu halten (einschließlich der Zerstörung von Unterlagen der internen Schulung) bzw. deren Eintritt hinauszuschieben. Shapira und Zingales kommen zu dem Schluss, dass es auch rückblickend eine „rationale“ Entscheidung gewesen sei, die Produktion ungehindert fortzusetzen. „It was value-maximizing to pollute if the probability of getting caught was less than 19%... It was very reasonable for DuPont’s executives to take the risk. In other words, the decision to pollute was ex-ante optimal for DuPont’s shareholders.”

Die Auseinandersetzung um die Legitimität von Gewinnmaximierung

Dass die Ministerin mit dem Gesetzesvorhaben einen möglichen politischen Paradigmenwechsel einleitet oder jedenfalls die in der Luft liegenden Ansätze dazu bestärkt, zeigt sich auch in den Reaktionen derjenigen, die hierzulande als «Vertreter der Wirtschaft» bezeichnet werden.

Das ist die pessimistische Deutung: Die Unbelehrbarkeit «der Wirtschaft» und ihrer Vertreter. In optimistischer Deutung wären zumindest einige der Reaktionen aus «der Wirtschaft» vom Gegenteil geprägt. Doch ist Entsprechendes bislang nicht zu vernehmen gewesen. Verfügen die «ehrlichen Unternehmen» (Lambrecht), die doch eigentlich in der Mehrheit sein sollten (vgl. unten), über keine öffentlich vernehmbare Stimme?

Vom DIHK meldete sich Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben mit dem Hinweis zu Wort, damit würde «die Wirtschaft unter einen generellen Verdacht gestellt» - natürlich fälschlicherweise. In gleichem Sinne hält der CSU-Bundespolitiker und Unternehmer Hans Michelbach das Gesetzesvorhaben für einen «Generalangriff auf Unternehmen». Gemeint ist offenbar, dass dem unternehmerischen Handeln im Gegenteil die Generalabsolution zu erteilen sei und ihm eine generelle Legitimität zukäme – vorausgesetzt, dass es sich konsequent auf Gewinnsteigerung und sonst gar nichts ausrichtet. Denn was gut ist für die Unternehmen (sprich: ihre Anteilseigner) ist gut für alle, denn sie sind es ja, die Arbeitsplätze schaffen – und übrigens auch, was regelmäßig unterschlagen wird, vernichten, direkt im eigenen Hause durch unternehmerische «Findigkeit» oder indirekt über den Wettbewerb bei anderen Unternehmen.

Genau diese beiden Wirkungsketten machen sich dann im erfahrungsgestützten Befund von Unternehmensberatern für den «Trend zu unmoralischerem Verhalten» bemerkbar:

«Als Grund für diese Entwicklung nennen fast zwei Drittel (61 Prozent) den steigenden Druck, den Aktionäre und Investoren auf das Management ausüben; eine fast genauso große Zahl der Berater (58 Prozent) meint, die Globalisierung erhöhe den Wettbewerbsdruck auf die Vorstände und Geschäftsführer – und dadurch sinke die moralische Hemmschwelle.»

Ablenkungsmanöver

Was die «wirtschaftsnahen» Kritiker ebenfalls nicht verstanden haben oder vorgeben nicht zu verstehen, ist, wie ein (angeblich) «modernes» Unternehmen heute gesteuert wird, durch «Anreize» nämlich statt über das Primat professioneller Aufgabenerfüllung, und zwar um der Gewinnmaximierung willen. Es ist ja doch erstaunlich, dass in der nach wie vor anhaltenden Diskussion um die schier unglaublichen und systematisch betriebenen Abgas-Betrügereien im VW-Konzern kein Journalist fragt, warum die angeklagten Entwickler die Betrugssoftware überhaupt entwickelt haben. Angewiesen wurde sie ja offenbar nicht. Welches (ggf. geldwerte) Interesse sollten die Mitarbeiter auf tieferen Führungsebenen denn gehabt haben? Auf dem nach wie vor aktuellen Stand verhält es sich ja offenbar so, dass der Vorstand seinen Bonus in Gefahr sah, sollte ein hinreichend großer Ad-Blue-Tank eingebaut werden, womit der Einbau teurer und umsatzstarker Stereoanlagen schwieriger geworden wäre. (Lautsprecher brauchen Platz.) Die Entwickler auf den unteren Etagen verstanden die Botschaft und gingen an die Entwicklung der Betrugssoftware, da anders die (widersprüchlichen) Vorgaben (von Management und Behörden) nicht einzuhalten waren. Ansonsten hätten sie ihren Job riskiert.

Wer daraus ein «Klima der Angst», das einzelne Vorstände (wie Winterkorn) erzeugt hätten, als «Ursache für die Abgasaffäre» konstruiert, verkennt die tieferen und nicht bloß individualistischen, sondern systematischen Ursachen des mittlerweile auch nach leicht greifbaren Kriterien endemischen «Fehlverhaltens» innerhalb der und durch «die Wirtschaft». Deshalb will Henry Mintzberg den Fall VW nicht als «Skandal», sondern als «Syndrom» verstanden wissen. «We are living in a world where predatory capitalism is triumphing.» Nicht, jedenfalls nicht nur, weil die Anteilseigner die Unternehmensorganisation zu einer „Profits at all costs»- und «Whatever it takes»-Kultur zwängen oder «anreizten», wie Jürgen Weibler treffend anmerkt, sondern auch, weil der Rentabilitätsextremismus innerhalb der Unternehmen mittlerweile offenbar fest als einzig verbindliche Richtschnur etabliert ist. Zu betrügen gehört daher zu einem Repertoire, welches sich mittlerweile offenbar zum Courant normale entwickelt hat.  

Das funktioniert ja eigentlich immer so, dass die unmittelbar Handelnden, sozusagen die ausführenden Organe, zu Sündenböcken gestempelt werden und sich dann zu Recht als Bauernopfer sehen. Dem will die Ministerin ein Ende setzen. «Generell wird es in Zukunft nicht mehr möglich sein, dass ein Unternehmen die Verantwortung für systematische Straftaten bei Einzelnen ablädt, sondern es wird das gesamte Unternehmen in die Verantwortung genommen.» Denn diesem «Abladen» ist ja die «Billigung» (durch die oberste, von den Anteilseignern bestellte Geschäftsleitung) vorausgegangen, «dass in den unteren Etagen kriminelle Praktiken zur Förderung des Geschäfts herrschen». Wie diese «Billigung» funktioniert, ohne dass entsprechende Anweisungen ergehen müssen, zeigt exemplarisch der Fall Volkswagen.

Natürlich möchte die Hayek-Partei FDP, vertreten durch Fraktionsvize Stephan Thomae, von diesen systematischen Zusammenhängen ablenken, indem sie den mythische Bild von den «Strippenziehern» zeichnet, «die hinter den großen Unternehmensskandalen stecken» (und die selbstverständlich nicht im Kreise der Anteilseigner zu suchen sind). Thomae möchte an der «Fiktionalisierung» des gesetzwidrigen Unternehmenshandelns «als eine Straftat einzelner» festhalten, «obwohl der Gewinn dieser Manipulationen [hier: von Libor-Zinssätzen] nicht einer Privatperson zugutekam, sondern den Konzernen», wie Wolfgang Hetzer, von 2002 bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, anmerkt. Hinter der Ablehnung des Gesetzesvorhabens verbirgt sich offenbar der Versuch, den Anteilseignern ihr Spiel nicht zu verderben, die Unternehmensorganisationen ihren unstillbaren Renditewünschen vollständig gefügig zu machen. Die Gewinnmaximierung darf es nicht gewesen sein. Und wenn das Kind dann doch einmal in den Brunnen gefallen ist, die gesetzwidrigen, zum Zwecke der Gewinnsteigerung erfolgten Handlungen aufgedeckt sind, dann sollen wenigstens die Strafzahlungen auf Portokassenniveau verbleiben, und andere sollen sie schultern, nämlich «einzelne tatverdächtige Manager» oder auch einfache Mitarbeiter.

Das Unternehmenssanktionsrecht soll Anteilseigner in die Verantwortung nehmen

Der Sinn eines Unternehmensstrafrechts, welches sich nicht so nennen darf und daher «Unternehmenssanktionsrecht» heißt, besteht nämlich systematisch darin, die Anteilseigner zur Verantwortung zu ziehen. Den diese haben in einer «kapitalistischen» Marktwirtschaft letztlich das Sagen. Um der Maximierung ihrer Kapitalverzinsung willen haben sie Aufsichtsräte gewählt, die Vorstände bestellen sollen, die jedem Rest an Managerialismus (der stets an ein professionelles, am Gemeinwohl und an Interessenausgleich orientiertes Ethos gebunden war) abgeschworen haben und die, unterstrichen durch millionenschwere, an die Entwicklung des Börsenwerts gebundene «Anreize», ohne jede Relativierung mit Gewinnmaximierung erst zu machen haben. Wenn die Schäden, die dadurch bei anderen erzeugt werden, erkennbar werden, sollen die Unternehmen nun deutlich mehr an Strafe zahlen als bislang. Statt einer Milliarde hätte Volkswagen dann vielleicht 10 Milliarden Euro in Deutschland zu entrichten. Kriminelles Unternehmenshandeln bzw. dessen aktive «Billigung» durch die Etablierung von Anreizsystemen, die eine gleichgerichtete Gier entfachen sollen, würde sich nicht mehr rechnen.

Damit aber, so meint der stellvertretende rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), würde das neue Recht «die Falschen» treffen, nämlich (neben «Aktionären», die ich hier ausschließe) «am Ende Mitarbeiter und Kunden». Insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeit der Auflösung eines Unternehmens (welches seine Geschäftstätigkeit systematisch auf kriminellen Machenschaften gründet), würden «so auch Unschuldige und Unbeteiligte auf allen betrieblichen Ebenen ihrer Existenzgrundlage» beraubt, so ein DIHK-Sprecher.

Man könnte in der Tat die Falschen treffen. Solange es allerdings um Strafzahlungen geht, müssten diese von denjenigen, die ein «Residualeinkommen» erzielen, getragen werden. Und dies ist die Kapitalseite, vorausgesetzt, die Einkommen der Beschäftigten sind durch feste (tarif-)vertragliche Bindungen zumindest mittelfristig gesichert. Das Problem ist allerdings ein anderes: Was ist mit Aktionären, die zwar daran mitgewirkt haben, das rentabilitätsextremistische Programm im Unternehmen zu etablieren, dann aber clever genug waren, den Braten zu riechen und vor dem großen Knall das sinkende Schiff verlassen, d.h. ihre Aktien abgestoßen haben? Möglicherweise müsste das anvisierte Unternehmenssanktionsrecht mit der Einführung einer gewissen Haltedauer verbunden werden. Dann könnten sich besonders gierige Hit-and-run-Investoren (S. 5 f.) nicht mehr aus ihrer Verantwortung stehlen. Die Bindung der Anteilseigner an «ihr» Unternehmen (die ja schon lange zu wünschen übrig lässt) würde gestärkt. Und sie hinge dann vielleicht auch an etwas anderem als allein an der «baren Zahlung».

Steuerungswirkungen

Natürlich meint der Redakteur der Süddeutschen, das Totschlagargument Nr. 1 gegen alle nicht «hofierende» Regulierung ins Spiel bringen zu müssen, indem er fragt, ob das Gesetzesvorhaben nicht «Konzerne aus Deutschland vertreiben» würde. (Das Geschäckle dieser Frage besteht darin, dass sie ja auch als Aufforderung an die Konzernverantwortlichen verstanden werden kann.) Jeder weiß, was damit gemeint ist: Die schaffen dann nicht mehr hier, sondern dort, wo sie sanktionsfrei agieren können, Arbeitsplätze bzw. nehmen die hiesigen mit, wenn wir nicht das tun, was ihnen gefällt. Ministerin Lambrecht setzt dagegen zwei Argumente.

Erstens bestehe ein systematischer Grund für das neue Unternehmenssanktionsrecht darin, «die Ehrlichen besser zu schützen». Bundesjustizministerin Lambrecht geht nämlich davon aus, dass «der übergroße Teil» der Unternehmen «sich an die Vorschriften hält und verantwortungsvoll agiert». Offenbar streben diese Unternehmen nach Gewinnen, betreiben aber keine Gewinnmaximierung, der definitionsgemäß jedes Mittel dafür recht ist, was zum Erfolg höherer Kapitalgewinne führt. Nun werden diese mit Blick auf die Rentabilität gemäßigt agierenden, «ehrlichen» bzw. integer und verantwortungsvoll wirtschaftenden Unternehmen allerdings von den rentabilitätsextremistisch agierenden Unternehmen unter Druck gesetzt und haben «aufgrund derartiger Praktiken einen Wettbewerbsnachteil». Dies soll unterbunden werden, denn «der Ehrliche darf nicht der Dumme sein».

Die rentabilitätsextremistisch agierenden Unternehmen bzw. deren Anteilseigner möchte die Ministerin offenbar ziehen lassen. Denn ihre Ansicht nach besteht die Alternative dazu darin, und dies ist das zweite Argument gegen die in der Luft liegende Abwanderungsdrohung, dass «uns die ehrlichen Unternehmen verlassen würden. Weil sie vielleicht irgendwann sagen: Hier kann man von einer unehrlichen Konkurrenz ungestraft kleingehalten und übervorteilt werden, also gehe ich lieber in ein anderes Land. Deshalb muss unser Staat auf der richtigen Seite stehen.»

Der Exportweltmeister Deutschland ist sicher stark genug, um auf dieser «richtigen Seite» zu stehen. Der mit hochqualifizierten Beschäftigen ausgestattet «Standort» würde sich sonst auch zu billig verkaufen. Damit setzt Deutschland auch ein Signal in die Welt, mit ihm mitzuziehen. Zumal die Standards in Sachen Sanktionierung für unternehmerische Missetaten ansonsten ohnehin meist höher liegen.