06. Mai 2014
Studierende fordern Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften

Ulrich Thielemann
Kategorie: Orientierungen

... aber es fehlt das ethisch-normative Paradigma.

 

Erfreulicherweise haben eine ganze Reihe von Zusammenschlüssen kritischer Studierender der Wirtschaftswissenschaften aus aller Welt einen Aufruf lanciert, der zur Abkehr vom Monismus bzw. von der «Einseitigkeit der Lehre» [und der Forschung] fordert. Johannes Pennekamp von der FAZ sieht hierbei eine gewisse Ähnlichkeit zu unserem Memorandum «Für eine Erneuerung der Ökonomie».

In der Tat geht es auch dort genau darum, nämlich um den (Wieder-) Einzug von «paradigmatischer Pluralität». Allerdings wird dabei das ethisch-normative Paradigma von Ökonomik, welches ich vertrete, als zumindest eine Möglichkeit eines paradigmatischen Grundverständnisses in Stellung gebracht. Dies fehlt im besagten Aufruf leider vollständig.

Erfreulich ist allerdings, dass Wolfgang Köhler von Finance Watch in seinem Kommentar zum Aufruf just die «ethische Basis» der Wirtschaftswissenschaften hervorhebt, die offenbar nicht mehr kritisch reflektiert werde.

Genau so verhält es sich. Und würde die «Neoklassik» (und würden übrigens erst recht die Austrians, die ausformulieren, was die neoklassichen Rechenkünstler stillschweigend voraussetzen) ihre «ethische Basis» kritisch reflektieren, würden Sie bemerken, dass diese zumindest so nicht halbbar ist. 

Ich verstehe nicht, wie man meinen kann, der Streit zwischen Orthodoxie (monistisch vertreten durch die Neoklassik) und Heterodoxie bzw. Pluralität drehe sich um etwas anderes als um eine ethisch-normativ angemessenere Sicht auf das Wirtschaften. (Offenbar hat der Positivismus, die ethische Reflexionsvergessenheit, sehr flächendeckend gesiegt.) Die einzige Alternative wäre ja: Es ginge bloß um eine andere Sicht darüber, was objektiv der Fall ist, so wie bei der Frage, ob die Erde sich um die Sonne oder die Sonne um die Erde dreht. Könnte man für solche streng positiven Fragen Herzblut aufbringen?

Als paradigmatische «Schulen» werden genannt: «die klassische, die post-keynesianische, die institutionelle, die ökologische, die feministische, die marxistische und die österreichische Tradition». Abgesehen davon, dass die Austrians die neoklassischen Mathematiker ja sogar in ihrer Markthuldigung überbieten – drehen sich diese paradigmatischen Differenzen allein darum, ob, um ein Beispiel zu wählen, es der Fall ist, dass Mindestlöhne «kontraproduktiv» sind oder nicht oder nicht eher darum, dass die Beschäftigten einen Anspruch darauf haben, anständig entlohnt zu werden? (Mit der institutionellen, der ökologischen und der feministischen Schule beschäftigt sich übrigens die Dissertation von Tanja von Egan-Krieger, die unter dem Titel «Die Illusion der Wertfreiheit. Eine Untersuchung der Normativität heterodoxer Theorien» bald bei Campus erscheinen wird. In der Arbeit wird die These entfaltet, dass sich diese Schulen vor allem ethisch-normativ vom Mainstream abgrenzen.)

Zwar kommt die Ethik im Aufruf an einer Stelle vor, nämlich in Form der «ethischen Implikationen» einer «Wirtschaftspolitik», die «zu verstehen» seien, um diese Wirtschaftspolitik «intensiv diskutieren» zu können. Immerhin. Doch wie steht es mit der kritischen Reflexion dieser «Wirtschaftspolitik» selbst (statt allein ihrer Folgen), die ja doch wohl eine legitime und verantwortbare sein will, die ja offenbar selbst mit normativem Geltungsanspruch auftritt, etwa wenn sie «die Wettbewerbsfähigkeit» steigern will oder für «freie und offene Märkte» eintritt. Handelt es sich dabei um eine verallgemeinerungsfähige Freiheit oder vielleicht nur um die Freiheit der Wettbewerbsfähigen und des Kapitals? Und welcher Status soll eigentlich Steigerung «der Wettbewerbsfähigkeit» zukommen. Um  solche offenkundig ethisch-normative Fragen ginge es. Darum, diese innerhalb der Wirtschaftswissenschaften vorbehaltlos diskutieren zu können.