Staatsverschuldungskrise
Ulrich Thielemann
Kategorie: Kapital
Die Geiselhaft des Kapitals beenden, statt durch »Sparen« erfüllen
Zu diesem Beitrag bat mich Wolf Südbeck-Baur für die Zeitschrift Aufbruch. Da der Beitrag, der in der nächsten Ausgabe erscheinen wird, sehr kurz ausfallen musste, ist der Argumentationsgang sehr dicht geraten. Ich hoffe, dies demnächst vertiefen und erläutern zu können. Einige, die Thesen unterstützende Links wurden nachträglich eingefügt.
Ich bin mir der Problematik, die bereits im Begriff der »Schuldenkrise« liegt, durchaus bewusst. Der Begriff wird hier rein technisch verstanden, und es wird also damit nicht von vorn herein nahegelegt, jetzt gelte es aber »die Schulden« abzubauen, wobei nicht nur die Ursachen in Vergessenheit geraten, sondern auch, dass Schulden immer durch zwei Typen von Maßnahmen abgebaut werden können: Reduzierung der Ausgaben (»Sparen«) oder Erhöhung der Einnahmen. Allerdings sind die Ungleichgewichte derart hoch, dass vor die Steuererhöhung für die Superreichen die Entwertung nomineller Vermögensbestände (»Haircuts«) treten muss.
Nun aber der Text:
Die gegenwärtige Staatsverschuldungskrise zahlreicher Staaten der Eurozone ebenso wie der USA ist Ausdruck einer übergreifenden globalen Krise im Verhältnis zwischen Kapitalmärkten einerseits, Realwirtschaft, Gesellschaft und Politik andererseits. Der Kristallisationspunkt dieser Krise ist die gegenüber dem realwirtschaftlichen Wachstum weit überproportionale Zunahme der nominalen Kapitalbestände. Die Krise zeigt: Die Beschäftigen – und nur diese schaffen ökonomische Werte – sind nicht in der Lage und sollen nicht gezwungen werden, die Renditen zu erwirtschaften, die das Kapital erwartet und nun machtvoll einfordert, indem es die Staaten in Geiselhaft nimmt. Es steht außer Frage, dass der de facto »Prinzipal« dieser Welt, das Kapital, und seine »Agenten«, wussten, dass sie eine gigantische Kapitalblase schaffen – und dass dieses Blasenspiel letztlich eine Wette gegen die Staatengemeinschaft und d.h. gegen die einzig noch greifbaren Steuerzahler ist: die Beschäftigten.
Wenn man das Primat der Politik unterstellt und also normativ am Prinzip der Volkssouveränität festhält, dann ist die Ursache der Krise in der nach wie vor grassierenden Kapitalmarktgläubigkeit zu suchen. Diese führte dazu, dass der unsichtbar wirkenden Macht des Kapitals, die realwirtschaftlichen Akteure gegeneinander auszuspielen und zu Wachstumsanstrengungen anzutreiben, nicht etwa Einhalt geboten, sondern diese durch die »Hofierung« des Kapitals weiter befeuert wurde, da ja nur so die ersehnten Arbeitsplätze geschaffen werden könnten (die vorher vom nämlichen Kapital zerstört wurden). Hierzu zählen Deregulierung statt Regulierung der Kapitalmärkte, fiskalische Privilegierung (Bankgeheimnis) – und die Staatsverschuldung. Statt den aus guten Gründen wachsenden öffentlichen Ausgabenbedarf direkt, also über die Besteuerung, und zwar auch und gerade der massiv gewachsenen Kapitaleinkommen, zu decken, haben sich die Staaten in eine unwürdige Abhängigkeit vom Kapital begeben.
Es herrscht weitgehende Einigkeit, dass dies ein Ende haben muss. Doch ist die Antwort auf diese Krise ganz sicher nicht das »Sparen«, also die unmittelbare Erfüllung der Renditewünsche des Kapitals – nicht nur, da davon die sozial Schwachen und ökonomisch Geschwächten unfair hart getroffen sind, sondern auch, weil sonst der Wertschöpfungszyklus unterbrochen würde, aus dem das Kapital ja seine Abschöpfungserfolge erzielen will. Die Antwort kann letztlich nur darin bestehen, dass die an sich illusorischen nominellen Kapitalbestände, die eine Blase bilden, massiv abgebaut werden. Unter den Bedingungen der nach wie vor bestehenden (oder bloß suggerierten?) Geiselhaft des Kapitals ist dies nur in einem global koordinierten Effort krisenfrei möglich.