09. März 2013
Schweizer Volksabstimmung: Votum für oder gegen «Abzocker»?

Ulrich Thielemann
Kategorie: Fairness, Compliance, Kapital, Regulierung

Warum Millionenboni im Interesse des Kapitals liegen

 

Abstract

Der Beitrag ergänzt und vertieft einige meiner jüngeren Stellungnahmen zur Minder- bzw. «Abzocker»-Initiative und zu Managervergütungen (vgl. hier, hier, hier und hier) und zeigt auf, dass die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger bloß meinten, gegen «Abzocker»-Vergütungen gestimmt zu haben, tatsächlich aber haben sie für diese gestimmt. Millionenboni liegen im Interesse des Kapitals.

Die Motive der Befürworter

Haben die Schweizerinnen und Schweizer die «Abzocker»-Initiative mit einer wuchtigen Mehrheit von 67,9% angenommen, weil sie die Millionenvergütungen, die einige Manager einstreichen, für nicht leistungsgerecht halten, oder etwa weil sie meinen, diese gingen ungerechtfertigter Weise zu Lasten der Aktionäre? Finden sie also, die Gewinne seien immer noch nicht hoch genug und die eigentlich «Abgezockten» seien die Aktionäre, oder meinen sie, die Millionen messenden Boni, die das Hundertfache des Lohns eines Facharbeiters umfassen können, seien Ausdruck einer allgemeinen Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Einkommen?

Es besteht kaum ein Zweifel, dass Letzteres zutrifft. (Man schaue etwa auf diese Kommentare auf der Website der stramm «neoliberal» ausgerichteten NZZ: «Auch die NZZ hat die Lohn- und Bonusexzesse und die Kasino-Mentalität im Bankensektor jahrelang klein geredet! Auch die NZZ war möglicherweise nicht genug "geerdet".» «Augenmass [bei der «Umsetzung» der Initiative]? Zunächst müssen wir versuchen, das verlorene Augenmass bei den sozialen Unterschieden in irgend einer Weise zurückzugewinnen.» «Genau das Fehlen von Augenmass und Gerechtigkeitsempfinden hat den Sieg der Initiative begründet.» «Ich bin stolz auf das Schweizer Volk die sich nicht durch die Angriffe der Arbeitgeber einschüchtern lies.» Da sprechen Bürger über die «hemmungslos Raffgierigen» und die «Herrschaften des neureichen Geldadels», nicht Aktionäre, die als Homines oeconomici ihren eigenen Vorteil kalkulieren. Unzweideutig diesbezüglich ein weiterer Kommentar: «So wird leider verdeckt, was die Ursachen dieser exzessiven Salärs sind, nämlich die einseitige Betonung des Shareholder Value bei Kapitalgesellschaften.»)

Doch weisen die rechtlichen Maßnahmen, die mit der «Abzocker»-Initiative beschlossen wurden, in die gegenteilige Richtung. Noch unmittelbarer als bislang sollen die Aktionäre, unter Umgehung des Verwaltungsrates (dem nicht ganz identischen Pendant zum deutschen Aufsichtsrat), darüber bestimmen, wie hoch die «Gesamtsumme aller Entschädigungen des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und des Beirates» ausfallen soll. Diese Umgehung des Verwaltungsrates ist die eigentliche Neuerung.

Minder versteht den (Un-)Sinn der Boni nicht

Tatsächlich hatte der Hauptinitiant der Initiative, Thomas Minder, einige Wochen vor der Abstimmung und zum großen Erstaunen aller Kommentatoren erklärt, er habe «nie gesagt, dass mein Ziel die Senkung der Löhne [des Managements] sei»; er wolle «schlicht den Aktionären die Verantwortung für das Vergütungsniveau geben.» Warum hat er sie dann nicht «Initiative für mehr Aktionärsrechte» genannt, fragt ein kritischer Kommentar.

Minders Schwenk, der offenbar nicht breitenwirksam zur Kenntnis genommen wurde (was auf die mangelnde Qualität der Berichterstattung verweist), erfolgte übrigens wenige Tage, nachdem er mit der – übrigens von mir vertretenen – Ansicht konfrontiert wurde, dass mit seiner Initiative «die Macht der Aktionäre gestärkt würde – und es liege doch im Interesse des Kapitals, hohe Boni zu zahlen.» Minder antwortete darauf, offenbar einigermaßen perplex: «Wenn es stimmte, dass man die florierendste Firma erhält, wenn man zweistellige Millionenbeträge als Gehälter zahlt, dann würde jeder das Produkt "hohe Löhne" kopieren.» Aber genau dies ist doch geschehen. Darum sind Millionenboni für Manager doch ein allgemeines, weltweites Phänomen, jedenfalls bei Großunternehmen. (Genauere Belege dazu sogleich.) Minder erkennt sodann offenbar, dass sein erstes Argument nicht plausibel ist, darum versucht er seine Initiative mit einem anderen Argument zu stützen: «Weltweit» sei «nun mal noch kein besserer Vorschlag gemacht worden, als die Kompetenz dem Eigner zu geben.» Ein «besser Vorschlag» wofür eigentlich? Natürlich setzt Minder voraus: dafür, dass die Managervergütungen tiefer, leistungsgerechter ausfallen. (Man erinnere sich: Minders Furor begann, als er erfuhr, dass Mario Corti, der erfolglose Retter der Fluggesellschaft Swissair, eine garantierte Vorabvergütung von 12,5 Millionen Franken für die nächsten 5 Jahre erhielt, dann aber nur wenige Monate im Amt war, und Minders eigenem kleinen Unternehmen, welches die Fluggesellschaft belieferte, die Pleite drohte, und zwar wegen deutlich kleinerer Beträge, deren Zahlung durch die Insolvenz der Swissair auszubleiben drohte.) Allerdings glaubt(e) Minder offenbar, «die Eigner» hätten «die Kompetenz», die Angemessenheit der Managervergütungen zugleich auch gesellschaftspolitisch zu bestimmen. Und falls sie dies nicht tun, so Minder an anderer Stelle, dann seien «sie selber schuld». Wenn das Ganze allerdings auch und vor allem einen gesellschafts- und einkommenspolitischen Sinn haben soll (und nicht nur einen «kapitalistischen»), hätten andere dann das Nachsehen, nämlich die Bürger, die weiterhin das «Abzocken» des Managements mit ansehen müssten.

Wer sind die «Abgezockten»?

Wie dem auch sei. Sollte es allerdings tatsächlich zutreffen, dass die «Abgezockten» nicht die Normalbürger im betrieblichen oder volkswirtschaftlichen Zusammenhang sind – die Millionenvergütungen des Managements also nicht zu Lasten der Mitarbeitenden gehen (oder eventuell, etwa im Falle des Pharmamanagers Vasella, zu Lasten der Konsumenten bzw. der Patienten) und sie auch nicht einer gesellschaftspolitischen Fehlorientierung der Unternehmen im Ganzen Vorschub leisten –, sondern die Aktionäre «abgezockt» werden, dann wäre man mit dem Gegenvorschlag, der ebenfalls die Aktionäre unmittelbar abstimmen lassen will, besser gefahren. (So sieht das übrigens auch die Anlagestiftung Ethos.) Denn die Aktionäre dürfte kaum eine «Gesamtsumme» interessieren, vielmehr die Ausrichtung der als «Anreize» ausgestalteten variablen Vergütungen auf ihre unstillbaren Kapitalverwertungswünsche. Und wenn es dann nachher ein oder zehn Millionen werden, dann spielt dies auch keine größere Rolle. Nachher heißt: wenn sich der «Erfolg», messbar im Shareholder Value, zeigt. Über diese Gesamtsumme abzustimmen ist daher als eine «Bevormundung» (Economiesuisse) der Aktionäre zu fassen und aus Sicht einer komplett kapitalistisch verstandenen Marktwirtschaft abzulehnen. Erst recht gilt dies für Strafrechtsbestimmungen, die ebenfalls im Paket der «Abzocker»-Initiative auftauchen. Der Schweizer Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz, der «immer für ein Statement im Interesse des Kapitals gut» ist und bei dem Economiesuisse daher ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, findet dies alles nur noch «skurril».

Ein Erklärungsversuch: Gewinnerzielung als «Leistung» des Managements

Die Auffassung, dass es die Aktionäre seien, die «abgezockt» werden, oder diesen jedenfalls die Rolle von Watchdogs zugeschrieben wird, da sie über die Kompetenz dafür verfügten – gleichsam in Stellvertretung der Normalbürger –, «dass die hohen Vergütungen für Manager besser kontrolliert werden» (und «besser» heißt hier: damit sie fair und leistungsgerecht ausfallen), mag sich daraus ergeben, dass vielen Bürger vor allem der Umstand als Indiz der Berechtigung ihrer Empörung erscheint, dass dem Management Millionenboni zugesprochen wird, obwohl das fragliche Unternehmen Verluste oder niedrigere Gewinne einfährt. (So etwa im Fall der Deutschen Bank: «2012 erhielten die die 98.219 Mitarbeiter der Bank Gehälter in Höhe von 13,5 Milliarden Euro. Der ausgewiesene Nettogewinn sank 2012 um 85 Prozent auf 665 Millionen Euro. Die Höhe der insgesamt ausgeschütteten Boni sank nur um 11 Prozent (auf 3,2 Milliarden Euro).» Oder: Die UBS fuhr im letzten Jahr einen Verlust von 2,5 Milliarden Franken ein; Management und Investmentbanker kassierten Boni in gleicher Höhe.)

Dies könnte darauf hindeuten, dass die Leute tatsächlich ein Herz für Rentiers haben und ihre Empörung dem Umstand gilt, dass diesen, also den Aktionären, zu viel an Gewinnen genommen wird. Eine andere Deutung erscheint mir allerdings plausibler (und ich denke, die allermeisten der Empörten machen sich ihre tatsächlichen Beweggründe nicht genügend klar): Die Leute sehen es nämlich als die Aufgabe des Managements an, für die Gewinnerzielung zu sorgen (was nicht bedeuten muss, dass sie das Prinzip Gewinnmaximierung vertreten). Genau so haben Normalbeschäftigte ja auch Aufgaben. Und wenn man diese nicht erfüllt, man also nicht leistet, soll man auch keine Extravergütung erhalten. Es wird als unverschämt empfunden, wenn man – um das handwerkliche Beispiel eines Tischlers zu wählen – keine Tische baut, aber gleichwohl so vergütet wird, als hätte man ganze Schiffladungen davon hergestellt. Kurzum, in dieser Deutung ist es der Mangel an Leistungsgerechtigkeit der Millionenboni für Manager, der die Empörung begründet.

Auslegungskampf um die Deutungshoheit

Derzeit tobt ein Auslegungskampf um die Deutungshoheit des Abstimmungsergebnisses zur «Abzocker»-Initiative. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle etwa ist sehr dafür, dass «die Eigentumsrechte gestärkt werden». Der stellvertretende SPD-Fraktionschef, Joachim Poß, hingegen sieht die «Perversität des Boni-Systems» offenbar nicht darin, dass den Aktionären Gewinne vorenthalten würden, auf die sie ein Anrecht hätten (nach libertärer bzw. buchstäblich kapitalistischer Auffassung haben die «Prinzipale» auf höchstmögliche Gewinne ein Anrecht), denn er votiert für eine ordnungsrechtliche (statt bloß privatrechtliche) Regulierung nach dem Muster des Beschlusses des EU-Parlaments. Dieser sieht vor, die Anteile, die das Kapital dem Management in Form von variablen Vergütungen, also als «Anreiz», ausbezahlen darf, zu begrenzen.

Als Zwischenfazit lassen sich zwei Auslegungsmöglichkeiten des Unmuts über Managervergütungen unterscheiden.

1. Millionenboni sind Ausdruck mangelnder Leistungsgerechtigkeit. Sie sind einfach unfair hoch. Einige Manager schneiden sich allzu große Stücke aus dem betrieblichen oder volkswirtschaftlichen Kuchen, der stets ein Sozialprodukt repräsentiert, also auf gemeinsamen Anstrengungen bzw. Leistungen basiert, heraus. Ihre Vergütungen repräsentieren weniger Beiträge zur Wertschöpfung, sondern Abschöpfung. Dies soll mit dem Begriff «Abzocker» zum Ausdruck gebracht werden.

Wenn die 67,9% der Schweizerinnen und Schweizer, die für die Initiative gestimmt haben, so denken und deren materialen Gehalt verstanden haben, so müssen sie offenbar annehmen, dass die Aktionäre die Watchdogs der betrieblichen oder volkswirtschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit sind. Man könnte hierbei weiter differenzieren und fragen, ob sie in Aktionären Gewinnmaximierer sehen (dann hätten wir es mit einem eigenartigen Business Case für Verteilungsgerechtigkeit zu tun), oder ob sie in ihnen Bürger sehen, die auch noch andere Anliegen haben als allein höchstmögliche Renditen. Im zweiten Fall müsste man sie allerdings darauf hinweisen, dass Aktionärsversammlungen keine Landsgemeinden sind und die «Aktionärsdemokratie» keine ist, denn hier zählt nicht jeder mit gleicher Stimme, sondern mit dem Gewicht seines Kapitals.

2. Die Aktionäre sind die Prinzipale der Unternehmen. Ihnen stehen also alle Vorrechte zu. Doch haben sie gegenwärtig zu wenig Macht. Millionenvergütungen für Manager sind Diebstahl am Eigentum der Aktionäre. Durch die direkte Abstimmung der Aktionäre werden die Vergütungen auf das richtige Maß heruntergefahren.

Doch werden durch den direkteren Zu- und Durchgriff der Aktionäre auf die Managervergütungen die «Gehaltsexzesse» ein Ende haben? Haben sich die Schweizerinnen und Schweizer «mit deutlicher Mehrheit … für ein Gesetz zur Begrenzung von Managergehältern ausgesprochen»? Oder glaubten sie es nur?

Millionenboni liegen im Interesse des Kapitals

Ich vertrete dezidiert die These, dass die allermeisten der Befürworter der «Abzocker»-Initiative im Ergebnis gegen ihre eigene Überzeugung gestimmt haben: Boni bzw. Anreize (die sich dabei auf Größenordnungen des Hundertfachen eines Facharbeitergehalts belaufen können) liegen im Interesse des Kapitals. (Ich habe die These von Margit Osterloh und Katja Rost – die übrigens ganz selbstverständlich voraussetzen, dass das Kapital keine Rendite kennen darf, die zu hoch ausfallen könnte, und dass den Aktionären alle Vorrechte zustehen –, dass «hohe variable Vergütungen dem Aktionärsinteresse widersprechen», nie verstanden. Diese These hat Osterloh mittlerweile relativiert: Die Frage, ob die Millionenboni durch «Macht» oder durch «Markt» bestimmt sind – und sie sollen durch «die Marktkräfte» bestimmt sein, wobei diese nach Ansicht der Autoren offenbar ohne Marktmacht (S. 369 ff.) auskommen, wie immer man sich dies vorstellen können soll – sei «unentschieden».) Hier einige Indizien:

  • Es ist kein Zufall, dass die Welt ungleich wächst, und zwar ungleich zugunsten des Kapitals, der Rentiers, der Super-Rich, also derjenigen, die die Ökonomik zu den «Prinzipalen» der Unternehmen oder überhaupt der Welt ernannt hat, und dass zugleich die Managervergütungen in Größenordnungen vorgestoßen sind, über die Normalbürger, von den Niedriglohnbeziehern ganz zu schweigen, nur staunen können.

Vgl. zum Ersteren: OECD: Growing Unequal, Paris 2008: Dieser Studie zufolge sank die Lohnquote in den OECD-Staaten zwischen 1976 und 2006 um 15 Prozent; entsprechend stieg die Kapitalquote, und dies, obwohl die Studie Einkommensarten, die «überproportional stark den sehr Reichen zufließen», wie «capital and withholding gains, non-wage components of the remuneration package of managers such as stock options, and imputed rents», gar nicht berücksichtigt hat. – Das Tax Justice Network schätzt, dass 21 Billionen US-Dollar, also fast ein Drittel des gegenwärtigen Welt-BIP, in den Statistiken gar nicht enthalten sind, da sie in Steueroasen gebunkert werden. – Das gesamte Wachstum seit 2000 ist in Deutschland zum Kapital gewandert. – Die Unternehmensgewinne in den USA sind seit den 1990er Jahren förmlich explodiert. – Die gegenwärtige Aktienally beruht unter anderem darauf, dass die Unternehmen auf einem Berg von Bargeldreserven sitzen, 170 Milliarden Euro in Deutschland, über eine Billion Dollar in den USA (Handelsblatt vom 7. März 2013). – Usw. usf.

Vgl. zum Anstieg der Managervergütungen diese und diese Grafik. Belief sich die CEO-to-worker Pay Ratio 1980 auf den Faktor 42, so verdienten (oder jedenfalls: erzielten) die CEOs der US-amerikanischen S&P 500 Unternehmen im Jahre 2011 380 mal so viel wie die Normalbeschäftigten. – Für die Schweiz im Besonderen interessant in diesem Zusammenhang: Wenn man das oberste Prozent der Gehaltsempfänger (also der Beschäftigteneinkommen – das sind vor allem Managervergütungen) unberücksichtigt lässt, dann ist auch in der Schweiz, wie in den meisten OECD-Ländern, die Lohnquote zugunsten der Kapitalquote gesunken: «99 Prozent aller Arbeitnehmenden [in der Schweiz] haben folglich einen kleineren Anteil an der Wertschöpfung als noch vor 10 Jahren.» Man erkennt hieran die volkswirtschaftlichen Größenordnungen der Managervergütungen – und die der Banker; beide sind Kapitaldienstleister.

  • Ein deutscher Milliardär, der lieber anonym bleiben wollte, hielt vor einiger Zeit fest: «Es gibt kein besseres Geschäft, als Top-Managern Millionen zu zahlen.» Darum kämen ja «weltweit alle [alle Rentiers, versteht sich] zum selben Schluss», nämlich zu dem, die Vergütung des Managements auf erfolgsabhängige Vergütungen umzustellen, wobei «Erfolg» Gewinn heißt.
  • Warum ist das so? Weil Unternehmen in der Regel nicht vollständig auf Rentabilität und sonst gar nichts ausgerichtet sind. Da gibt es noch rentabilitätsfremde Gesichtspunkte – der Verantwortbarkeit, Fairness und Sinnhaftigkeit. Diese den Unternehmen auszutreiben, ist ein hochlukratives Geschäft. Die Hebel dafür heißen Restrukturierung, Outsourcing, Arbeitsverdichtung, Fitmachen der Beschäftigten durchs Personalmanagement (vgl. den Dokumentarfilm Work Hard – Play Hard), um dadurch der Konkurrenz Umsätze abspenstig zu machen, was diese zu einem nämlichen Verhalten zwingen wird. Vgl. zur Präsenz und zur Elimination rentabilitätsfremder Gesichtspunkte grundlegend und knapp hier (S. 163 f.), ausführlich im System Error (S. 7 ff., 69 ff.). Vgl. exemplarisch für den Fall Enron hier, für BMW hier und hier. Das Management wird für seine ökonomische Radikalität beim Ausmerzen vom allem, was der Erzielung (oder je nachdem: der Abschöpfung) höchstmöglicher Gewinne entgegensteht, fürstlich honoriert.
  • Darum haben die Aktionäre im Großen und Ganzen keinerlei Einwände gegen Millionenboni, solange diese als «Anreize» (zur Elimination rentabilitätsfremder Gesichtspunkte) wirken. Mit einigem Erstaunen musste der damalige Präsident des Verwaltungsrates der UBS, Alt-Bundesrat Kaspar Villiger, feststellen, dass «wir bei Investorenbefragungen festgestellt haben, dass unsere Aktionäre nicht die Sorge haben, dass wir unseren Mitarbeitern zu viel zahlen könnten, sondern im Gegenteil, dass wir sie zu schlecht bezahlen.» (NZZ am Sonntag, 23.8.09, S. 33.) Denn aus eigenen Stücken dürfte das Management, als Professional, ja kaum Veranlassung haben, radikale Gewinnmaximierung zu betreiben und sich vollständig in den Dienst des Kapitals zu stellen. Es ginge ihm dann eher darum, ob eine Idee «gut» ist (Vicco von Bülow) oder wie man «Schuhe macht» (Peter Drucker). Die als Anreize ausgestalteten Boni sind der Hebel, mit dem sich das Kapital die Unternehmen vollständig gefügig machen und seinen unstillbaren Renditewünschen unterwerfen kann. Über einen anderen Hebel verfügt es nicht.
  • In den USA ist die Abstimmung über die Managergehälter seit zwei Jahren obligatorisch. «Say on Pay» nennt man das. «Lediglich bei 60 der 3000 größten Firmen stimmten die Aktionäre gegen die Bezahlung.» (Handelsblatt, 7. März 2013, S. 27, Kommentar von Rolf Benders)
  • Man kann sich fragen, wer der Initiant der Millionenboni ist – das Management, welches sich dadurch zwar zum Pawlowschen Hund degradieren lässt, dafür aber zum Multimillionär wird, oder das Kapital? Der millionenschwere CEO der Credit Suisse, Brady Dogan, jedenfalls, dessen MBA in Finance ihm bislang ein Vermögen von 150 Millionen Franken beschert hat, meinte, ihm seien die «Anreizpläne» von den Aktionären «geradezu aufgezwungen» worden.
  • Man muss die Größenordnungen im Blick halten. Diese CEOs stehen Unternehmen mit tausenden von Mitarbeitern vor, die Milliardenumsätze bewegen (d.h. nicht, dass die Manager diese aus eigener Kraft allein bewegten). Diese Unternehmen erzielen Milliardengewinne und repräsentieren einen Unternehmenswert, der diese Gewinne um ein Vielfaches übersteigt. Und dann kann man sich folgenden Deal vorstellen, der erstaunlicherweise gar nicht explizit thematisiert zu werden scheint. Hören wir den für seine Chuzpe berüchtigten Ex-Bankenmanager Oswald Grübel: «Ich habe mir schon überlegt, was würde passieren, wenn man als Chief Executive den Aktionären sagen würde: Hört mal, wenn ich den Wert der Gesellschaft um 100 Milliarden erhöhe [er sagt tatsächlich «ich»], zahlt ihr mir 1 Prozent davon, nur als Beispiel. Sie hätten eine gute Chance, dass die Aktionäre sagen würden: okay. Aber dann, wenn Sie Erfolg hätten und die Aktionäre diese Milliarde zahlen müssten, würde ich nicht lesen wollen, was die Medien schreiben… Während meiner Zeit als Chief Executive ist der Börsenwert der Credit Suisse um 80 Milliarden Franken gestiegen. Für die Aktionäre war es ein guter Deal, im Vergleich zu meinem Lohn.»
  • Und dabei spielt es gar keine Rolle, ob der CEO den Anstieg des Shareholder-Value in Größenordnungen von Milliarden aus eigener Kraft bewirkt hat. Das Kapital rechnet dem CEO, der ein Unternehmen mehr oder minder zufällig gerade leitet, diesen Anstieg einfach zu. Auch unter der Führung eines anderen CEO hätte es zu einem solchen Anstieg kommen können. Die Investoren sagen: «Wunderbar! Lasst uns nur die Weichen dafür stellen, dass dies wahrscheinlicher wird – durch millionenschwere Anreizprogramme nämlich. Die Millionengagen sind ja ohnehin Peanuts im Vergleich zu unseren Gewinnen.»
  • «Brady Dougan [schon wieder der], der CEO der Credit Suisse, erhielt vergangenes Jahr [2010] mit 90 Millionen Franken einen obszön hohen Lohn. Gemessen am Nettoertrag der CS von 33 Milliarden Franken belief er sich aber nur auf 3 Promille. Banker scheinen sich also bloss einen Fingerhut voll aus den anschwellenden Finanzströmen zu nehmen.»
  • Gerhard Schwarz (G.S.), der Übervater des Schweizer Marktlibertarismus, hat einmal eine der vielen Studien hierzu zusammengetragen. Titel des Beitrages: «Managerlöhne im Promillebereich des Aktionärsnutzens». G.S. schreibt: «Die statistische Auswertung zeigt mit einer Sensitivitätsanalyse auch sehr schön, dass es in den beiden abgelaufenen Jahren eine klare Korrelation zwischen der Steigerung der Marktkapitalisierung und der Vergütung des CEO gab – und dass die Beziehung ursächlich war. Wenn es dem Manager mit seinem Team und dem ganzen Unternehmen gelang, im Schnitt die Börsenkapitalisierung in beiden Jahren um 1% zu steigern, stieg seine jährliche Vergütung um 80 000 Franken… Alles in allem zieht der CEO also im Umfang von 80 Rp. Nutzen aus einer [seiner?] Steigerung des Aktionärsnutzens um 1000 Fr. – weniger als ein Promille. Das mag erklären, weshalb sich Generalversammlungen bisher nicht mehr um die Löhne des Topmanagements gekümmert haben. Sie scheinen im grossen Ganzen leistungsorientiert [erfolgsorientiert] zu sein, und wenn die Börsenkapitalisierung um 3,5 Mrd. Fr. steigt und der CEO dann im Umfang von 2,8 Mio. Fr. profitiert, davon über 1 Mio. Fr. als Kursgewinn, welcher Aktionär wollte sich da aufregen?» – Diese Milliardengewinne und -vermögen sind das eigentliche Problem, und zwar sowohl unmittelbar mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit als auch mittelbar mit Blick auf die «Peitschenwirkung» des Kapitals im instanzlosen Wettbewerb. Und sie werden zum Problem durch die «Anreize», die zu setzen dem Kapital erlaubt ist. (Warum regt sich eigentlich alle Welt über die «Gehaltsexzesse» im Management auf, aber kaum jemand über die «Gewinnexzesse»? Und dabei haben die Manager ja immerhin irgendetwas geleistet. Kapitaleinkommen sind jedoch, rein betrachtet, Renteneinkommen, fließen den Rentiers also leistungsfrei zu.)
  • Bei der in Wirtschaftsjournalen immer wieder gestellten Frage, ob denn Manager «ihr Geld wert» seien, bei der mit der üblichen kapitalistischen Parteinahme natürlich ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird, dass die Manager dann «ihr Geld wert» seien, wenn sie den Shareholdern höchstmögliche Renditen verschaffen, kommt in der Regel heraus, dass sie es sind. Nehmen wir doch irgendein Beispiel: Dem Vorstandsvorsitzenden der BASF, Kurt Bock, wird der gesamte Nettogewinn des Unternehmens mit seinen 113000 Beschäftigten zugerechnet. Dieser belief sich im Jahre 2011 auf 6,2 Milliarden Euro. Seine Bezüge beliefen sich auf 2,8 Millionen Euro, was 0,05 des Nettogewinns entspricht und als «günstig» klassiert wird. Allerdings fiel seine «relative Performance im Branchenvergleich» nur «durchschnittlich» aus. Im Gegensatz zu Martin Winterkorn von VW, der zwar, übrigens ebenfalls «günstige», 16,5 Millionen Euro bezog, im Branchendurchschnitt aber klar «überdurchschnittlich» abschnitt, da der Konzern 15,4 Milliarde Euro Nettogewinn einstrich, die das Kapital und seine Freunde in den Wirtschaftsredaktionen der offenbar übermenschlichen Schaffenskraft Winterkorns zuschlägt. Denn einen anderen Ansprechpartner haben die Investoren nicht.

Es ist extrem unwahrscheinlich, dass den Schweizerinnen und Schweizern diese Zusammenhänge bewusst waren, als sie die unmittelbare Zugriffsmacht der Aktionäre auf die Vergütungen der Geschäftsleitungsmitglieder ausweitete. Sie dachten, sie hätten gegen «Abzocker» gestimmt. Dabei haben sie im Wesentlichen für sie gestimmt – sowohl für die «Abzocker» in den Chefetagen als auch, und vor allem, für die «Abzocker» auf Seiten der Aktionäre. (Dass es solche gibt, gesteht eigenartiger Weise auch Margrit Osterloh zu; wobei sich Aktionäre allerdings nur «manchmal als "Abzocker" betätigen», nicht systematisch.) Unter den Aktionären mag es einige Bürger geben, für die die Rendite nicht alles ist. Doch bilden Aktionärinnen wie diejenige, die an der jüngsten Generalversammlung der Novartis meinte, für Daniel Vasella habe «viel zu stark die Rendite und das Geld im Vordergrund gestanden», eine verschwindende Minderheit im Kreise des Aktionariats, und zwar erst recht, wenn man ihre Kapitalkraft, die ja faktisch letztlich zählt, berücksichtigt.

Einkommenspolitik im Dienste der Fairness

Es ist schon absurd: Da sprechen sich immer mehr Bürger gegen die jahrzehntelang betriebene «neoliberale» Politik der «Hofierung» (Hans-Werner Sinn) des Kapitals aus, die sich unternehmenspolitisch unter anderem in Millionenboni für Manager manifestiert; doch faktisch meinen die Bürger ihrem Unmut dadurch zum Ausdruck bringen zu können, indem sie diese Politik noch einmal toppen. Es steht zu befürchten, dass die ökonomistisch gestimmten Experten, die politisch nach wie vor das Sagen haben, diese Faden aufgreifen und den unmittelbareren Zugriff der Aktionäre auf die Unternehmen nun auch noch als Ausdruck eines breiten Volkswillens meinen verkaufen zu dürfen.

Wer die Zusammenhänge hingegen verstanden hat und findet, dass die faktischen Marktmachtverhältnisse und die sie bestimmenden Interessen zu einer Verteilung der stets arbeitsteilig erzielten Wertschöpfung geführt haben, die Maßstäben leistungsgerechten Vergütung Hohn sprechen, der dürfte bei der «1:12 Initiative» besser aufgehoben sein. (Vgl. zur aktuellen Diskussion hier, hier und hier.) Diese Initiative, die im Kern besagt, dass niemand innerhalb eines Unternehmens mehr als zwölf Mal so viel verdienen darf wie ein anderer, lässt sich deuten als eine ordnungs- statt bloß privatrechtlich ausgestaltete Einkommenspolitik im Dienste der Fairness, die anerkennt, dass betriebliche Erfolge stets Ausdruck einer gemeinsamen Anstrengung sind. Darum werden allzu große Ausreißer nach oben ja überhaupt erst als Ausdruck des «Abzockens» gebrandmarkt.

Ich spreche mich hier ausdrücklich nicht für diese spezifische Initiative aus (aber auch nicht gegen sie), weil hierbei immer auch Fragen der Verhältnismäßigkeit im Spiel sind (Ist der Faktor 12 zu hoch oder zu tief?) und ich mich nicht als politischer Aktivist, sondern als kritischer Wissenschaftler äußere, der vorrangig Werterhellung, nicht Wertentscheidung betreibt. Allerdings möchte ich betonen, dass es sich um ein im Grundsatz legitimes gesellschaftspolitisches Anliegen handelt, welches die Verhältnismäßigkeit und Proportionalität der (allerdings nur innerbetrieblichen) Vergütung für die Leistungsbeiträge der Beschäftigten regulieren möchte, da dies der «freie» wettbewerbliche Markt, d.h. die in ihm herrschenden Machtverhältnisse, nicht angemessen tut. (Eine kleine Anekdote zur maximalen Lohnspanne: Als ich die Beschäftigten der Alternativen Bank Schweiz im Zug des Ethikschwerpunktes Lohngerechtigkeit nach der betriebsintern festgelegten maximalen Lohnspanne von 1:5 fragte – diese wird derzeit mit etwa 1:35 ausgeschöpft –, sagte mir ein ABS-Mitarbeiter sinngemäß: «Der Chef soll fünf Mal so viel verdienen dürfen wie ich? Das sind 500 Prozent. Ist der fünf Mal leistungsfähiger als ich? Fünf Mal qualifizierter? Setzt der sich fünf Mal mehr für das Unternehmen ein als der am schlechtesten verdienende Mitarbeiter? Ich finde, 1:5, das ist ganz schön viel.» – Ich möchte dies hier nicht bewerten. Allerdings scheint es mir eine bedenkenswerte Überlegung.)

Und wer eher (und zusätzlich) das Problem in der Compliance-Seite der Millionenboni sieht, der sollte sich, analog zum erwähnten Beschluss des EU-Parlaments, für eine Begrenzung des Anteils der variablen Vergütungen an der Gesamtvergütung der Beschäftigten einsetzen. (Auch Manager oder Investmentbanker sind natürlich Beschäftigte.) Damit würden auch die Kapitaleinkommen berührt, da den Aktionären damit die Hebel genommen wären, die Unternehmen vollständig ihrem Renditehunger dienstbar zu machen.

Natürlich haben all diese Initiativen, so sie in Kraft treten, mit Ausweichreaktionen zu rechnen. Gute Regulierung, zumal eine solche, die sich dem Wohlstand für alle statt dem Wohlstand für wenige verschreibt, ist niemals ein One-trick-Pony. Zusätzlich im Auge zu behalten ist vor allem eine wieder angemessene Besteuerung des Kapitals ebenso wie eine Abkehr von der Kultur der Gier, die dem Managementnachwuchs an den Wirtschaftsfakultäten nach wie vor nahegelegt wird.