27. Juli 2012
«Rationalität» und «Effizienz»

Ulrich Thielemann
Kategorie: Orientierungen, Ökonomismus

Workshop zu den fragwürdigen normativen Grundlagen der Ökonomik

 

In Kooperation mit der Young Scholars Initiative, die sich in der Folge der diesejährigen INET Konferenz «Paradigm Lost» gegründet hat, führt das MeM und der Leitung von Ulrich Thielemann einen Workshop durch.

Termin: Berlin, 10. August 2012.

Ort: Freie Universität Berlin, FB Wirtschaftswissenschaften, Raum 104, Garystr. 21, 14195 Berlin.

Weitere Informationen gibt es hier und hier. Die Teilnahme ist kostenlos. Gebeten wird lediglich um eine Anmeldung. Wer von außerhalb kommt, kann sich dort auch für einen Reisekostenzuschuss bewerben.

Hier die nähere Beschreibung der Veranstaltung:

Was unterscheidet die vorherrschende, «neoklassische» Ökonomik eigentlich von Wirtschaftssoziologie? Es ist die besondere Thematisierungsrichtung, aus der heraus sie ihren Gegenstand, die markt-wettbewerblichen Interaktionsverhältnisse, beleuchtet. (Der ökonomische Imperialismus definiert Ökonomik durch gar keinen spezifischen Gegenstand, sondern allein durch diese besondere, als «ökonomisch» titulierte Thematisierungsrichtung.) 

Diese Thematisierungsrichtung lässt sich mit den beiden Konzepten «Rationalität» und «Effizienz» fassen. Jene betrifft die mikroökonomische bzw. individuelle Seite, diese die makroökonomische bzw. überindividuell-gesellschaftliche Seite der Beurteilung. Ökonomen möchten i.d.R. zeigen, dass der Wettbewerbsmarkt i.d.R. zu «effizienten» Ergebnissen führt, wenn die Akteure «rational» handeln.

«Effizienz» und «Rationalität» sind normative Konzepte. Die Marktergebnisse sollen «effizient» und nicht etwa «ineffizient» ausfallen; und die Akteure sollen «rational» und nicht etwa «irrational» handeln. Darum gilt: «Ökonomik ist Ethik» (Karl- Heinz Brodbeck).

Über die Auslegung und den Status dieser Konzepte herrschen innerhalb der Ökonomik durchaus Kontroversen. Doch fungiert die Anerkennung der beiden Konzepte «Effizienz» und «Rationalität» als Einstiegskritierium dafür, als «Ökonom» wissenschaftlich anerkannte und relevante Beiträge innerhalb der «Zunft der Ökonomen» (Hans-Christoph Binswanger) zu leisten. (Diese Engführung bildet den Ausgangspunkt für das Memorandum «Für eine Erneuerung der Ökonomie».)

Das Seminar wendet sich an interessierte Volkswirte und an an Volkswirtschaftslehre Interessierte, die einen Blick über den Tellerrand wagen möchten und an einer ethisch-kritischen Reflexion der Grundlagen der Ökonomik interessiert sind. Nach einem kurzen Einstieg, in dem die obige These knapp skizziert (aber nicht ausgeführt) wird, soll sich in einem ersten Schritt am Begriff der «Effizienz» abgearbeitet werden. Es wird die These vertreten, dass zwei unterschiedliche, häufig konfundierte Versionen von «Effizienz» kursieren, nämlich utilitaristisch und paretianisch verstandene «Effizienz». Es wird gezeigt, dass beide Versionen nicht geeignet sind, gesellschaftliche Zustände oder auch Entwicklungen ethisch angemessen zu beurteilen.

In einem zweiten Schritt wird das «ökonomische» Verständnis von «Rationalität» beleuchtet, für das alternativ der Name Homo oeconomicus steht. Es wird gezeigt, dass die als «ökonomisch» gefasste «Rationalität» sich als «instrumentelle Vernunft» (Max Horkheimer), Erfolgs- oder Durchsetzungsrationalität fassen lässt, die, zum Inbegriff von Rationalität bzw. Vernunft erhoben, ethisch nicht rechtfertigungsfähig ist. Dies wird an der praktisch wohl wichtigsten Erscheinungsform «ökonomischer Rationalität» erläutert: der Orientierung am Prinzip der Gewinnmaximierung, dem Unternehmen, nach der heute beinahe einhellig geteilten Überzeugung der Ökonomik (vor allem der Betriebswirtschaftslehre), folgen sollen oder jedenfalls folgen dürfen.

Die größte Unklarheit mit Blick auf das Konzept «ökonomischer Rationalität» besteht mit Blick auf seinen methodologischen Status. Es wird die These vertreten, dass sich ein Rationalitätskonzept nicht empirisch widerlegen lässt. Insofern ist fraglich, ob die Verhaltensökonomik den Homo oeconomicus «widerlegt» oder nicht eher bestätigt.

In einem weiteren, dritten Schritt könnte es darum gehen, den wohlverstandenen Sinn einer Theorie des Wirtschaftens zu ergründen. Das ethisch-integrative Paradigma von Ökonomik vertritt die Ansicht, dass es darum gehen muss zu klären, was mit der markt-wettbewerblichen Organisation des Wirtschaftens (oder gar: der Gesellschaft im Ganzen) ethisch der Fall ist bzw. ethisch auf dem Spiel steht. Dazu ist allerdings zuvor im Einzelnen zu klären, ob eine wertfreie Ökonomik als eine Alternative dazu möglich wäre, wie die allermeisten Vertreter des vorherrschenden Mainstreams behaupten. Diese These wird verneint.

Einstiegslektüre (alle Ulrich Thielemann):

Vertiefungsliteratur:

  • Thielemann, U.: Wettbewerb als Gerechtigkeitskonzept. Kritik des Neoliberalismus, Marburg 2010, insbesondere Kapitel II (für Schritt 2 und 3) und in Kapitel IV die Abschnitte 1, 2.1-2.3 (für Schritt 1).
  • Thielemann, U.: Das Prinzip Markt. Kritik der ökonomischen Tauschlogik, Bern/Stuttgart/Wien 1996, als E-Book verfügbar hier, insbesondere Kapital III für Schritt 2 (Homo oeconomicus) und 1 (Pareto-Ökonomik).

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Hier der Foliensatz der ersten Vorlesung. Die Vorlesung zum Homo oeconomicus, in dereren Rahmen auch das paretianische Verständnis von «Effizienz» beleuchtet wird, findet zu einem späteren Zeitpunkt statt.