Politische Ökonomie
Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomismus, Orientierungen
Wer zahlt, hat Interessen – legitime?
Wer zahlt, hat Interessen. Das ist trivial und vielfach unproblematisch. Wen ich für ein Brot bezahle, hab ich Interesse am Brot. Und der Bäcker an der Zahlung. (Hoffen wir, dass beide noch etwas anderes bindet, etwa, «ob die Idee gut» bzw. das Brot gut ist – was in Zeiten der «Back-Shops» reichlich fragwürdig ist.)
Was aber, wenn das «Gut», für das man zahlt, im engeren und weiteren Sinne politisch relevant ist. Reinhold Hedtke und Bettina Zurstrassen etwa fragen danach, wer die empirischen Studien finanziert, die belegen sollen, dass an den Schulen «mehr ökonomischer Bildung» gelehrt werden soll. Ein paar Hundertausend Euro wird da wohl irgendwer springen gelassen haben. Abgesehen von der Frage, welche «ökonomische Bildung»?, stellt sich die Frage: «Wer sind die Akteure der Kampagne für mehr Wirtschaft in der Schule? Wer zahlt wie viel an wen und wofür? Das alles bleibt im Dunkeln.» Wer kann die Summen eigentlich aufbringen? Normalbürger sicher nicht. Und «wem nützt welches ökonomische Wissen?»
Den Rentiers nützt natürlich beispielsweise das «Wissen» darüber, dass «Milliardäre Investoren sind und Arbeitsplätze schaffen» und dass «auch dem letzten Neider das Lachen vergehen wird», sollten ihnen, etwa durch eine Besteuerung, «das Geld ausgehen». Oder darüber, dass «Marktgehorsam» und «Eigenverantwortung» die angemessenen Reaktionen auf drohende oder bereits eingetretene Einkommensverluste sind. Den Investoren nützt das gesamte ökonomistische Programm. Dieses ist so zu vermitteln, dass «die Menschen die ökonomischen Zusammenhänge … richtig verstehen». Und «richtig verstehen» heißt, «die Marktwirtschaft als moralisches System» (Karl Homann) anzuerkennen.
In ähnlicher Weise habe ich mir schon des längeren die Frage gestellt, welche Interessen die UBS dabei verfolgt, der Universität sagenhafte 100 Millionen Franken zur Verfügung zu stellen. Dagegen rührt sich berechtigter, man müsste sagen: wissenschaftspolitischer Widerstand – aber nicht von Seiten der Bildungspolitiker, sondern von Wissenschaftlern. So sieht der «Zürcher Appell» dadurch die Wissenschaftsfreiheit in Frage gestellt.
Dass es sich aus der Sicht der UBS um eine Investition handelt, die sich folglich wieder auszahlen soll, steht außer Frage. [Nachtrag: Dies wird bestätigt durch die Aussage des Geschäftsführers der eigens von der Universität Zürich für's private Geldeintreiben gegründeten «UZH Foundation», Markus Schaad: «Am schwierigsten sei es Firmen dazu zu bringen, Geld zu spenden, ohne dafür eine (es muss offenbar heißen: auf Heller und Pfennig klar benennbare) Gegenleistung zu bekommen. "Firmen sind ihren Aktionären verpflichtet und können nicht einfach Geld verschenken", sagt Schaad.»] Worin könnte der Return on Investment bestehen?
- Zum einen sind es die gesellschaftlichen Reputationsgewinne. Der Name UBS darf nun im unmittelbaren Zusammenhang einer Universität, nämlich der Universität Zürich, genannt werden, was der Tätigkeit der Großbank eine Art wissenschaftlich zertifizierten Heiligenschein verpasst. Ein unschätzbarer Vorteil bei der Akzeptanzsicherung der Geschäftstätigkeit. Was besonders wichtig ist, wenn man sich in die Nähe einer «kriminellen Organisation» gerückt sieht.
- Zweitens dürfte ein subtiler Einfluss auf die Ausrichtung der Forschung zugunsten der Interessen der Bank(en) – und d.h. immer: ihrer «Prinzipale», den Investoren, und ihrer «Agenten», dem Management – ausgeübt werden, und vor allem nicht gegen diese Interessen. Peter Ulrich zeigt sehr schön die «innere Affinität der privatwirtschaftlichen Interessen [der Bank] zu den gesponserten Wissenschaftsschulen und Denkmustern» (dem Ökonomismus) auf. Kritische Studien zur Ökonomisierung der Lebensverhältnisse, auch und gerade durch den «unsichtbaren» Druck des Kapitals auf die Realwirtschaften und die Lebenswelten, dürften kaum zu erwarten sein. Auch ist es einfach ausgeschlossen, dass die 100 Millionen unter andere für eine Forschung eingesetzt werden, die danach fragt, wie die aufgeblähten Vermögensbestände, von denen vor allem die Banken massiv profitieren, fair abzubauen wären. Ebenso wenig, wie der FIRE-Sektor herunterzufahren ist. Auch darf man gespannt sein, wie sich das UBS International Center of Economics in Society zur Vollgeldreform stellen wird, die den Banken ihre Milliardengeschäfte vermiesen würde. Wird man sich am «Center» vorbehaltslos fragen dürfen, ob die Milliardengewinne der Banken Ausdruck von Wertschöpfung sind oder bloße Abschöpfungserfolge repräsentieren?
- Drittens könnte sich die UBS einen privilegierten Zugang zum exklusiven Verfügungs- und Verwertungswissen verschaffen wollen, welches Ernst Fehr, der den Deal mit der Bank eingefädelt hat, anbietet. Denn Fehr möchte aus der empirischen «Widerlegung» des Homo oeconomicus (H.O.) offenbar ein Geschäft machen. Darum ist dieses Programm ja auch ein solches einer «Verhaltensökonomik». Damit setzt er den H.O. bzw. die Vorteilsorientierung, das Geschäfte-Machen, ganz praktisch als Prinzip ins Recht. (Vgl. zu den drei Auslegungsvarianten des H.O. diesen Foliensatz. Allesamt halten sie an seinem Verbindlichkeitsanspruch fest. Die letzte Variante, als Beratertheorie, indem sie sich selbst aller normativen Ansprüche entledigt und Wissen konsequent auf Verfügungswissen – definitionsgemäß: für Homines oeconomici – reduziert.) Hier einige Belege:
«FehrAdvice machen diese Erkenntnisse – zum Beispiel über systematische Tendenzen zu Fehlentscheidungen – für die Unternehmensberatung nutzbar. [«Verfehlt» sind Entscheidungen immer dann, wenn die Akteure ihr wahres, durchsetzbares Eigeninteresse verfehlen – wie immer sich dies empirisch feststellen lassen soll.] Das Resultat ist ein eigenständiger Beratungsansatz – der Behavioral Economics Ansatz (BEA™). Seine Anwendung durch verhaltensökonomisch geschulte Berater [die sicher ein hübsches Beraterhonorar für ihre Dienste verlangen] und innovative Methoden der empirischen Forschung ermöglichen uns, unausgeschöpfte Verbesserungspotentiale in Unternehmen, Märkten und Organisationen zu identifizieren.» Drei Mal darf man raten, was hier «Verbesserung» heißt. Für Unternehmen heißt dies natürlich: «bessere» Gewinne.
Ist es nicht zynisch, wenn Fehr «empirisches Wissen über die menschliche Tendenz zu fehlerhaften Entscheidungen» «systematisch» «für Problemstellungen in der Wirtschaftsberatungspraxis» nutzbar machen möchte? Des einen Schaden wird des anderen Nutzen, wobei dieser andere, der Kunde dieser «Beratung», der Zahlungskräftigere ist. Und die Wissenschaft – darf man das noch «Wissenschaft» nennen? – hilft dabei.
Politische Ökonomie – dies stand einmal für ein Verständnis der Thematisierung des Wirtschaftens, welchem noch klar war, dass wir es hier mit Interessen, mit teilweise sehr mächtigen Interessen, zu tun haben. Und die Frage ist die nach der Legitimität dieser Interessen. Diese Frage wurde zugunsten derjenigen ersetzt, wie sich die Interessen im gesellschaftlichen (und wirtschaftlichen) Machtzusammenhang durchsetzen lassen. Was voraussetzt, dass die Eigeninteressendurchsetzung prinzipiell legitim ist. Weshalb sie ja auch als «rationales» Verhalten klassiert wird. – Dass dieses Weltbild nur ja nicht delegitimiert wird, dafür sollen die 100 Millionen Franken sorgen.