08. Januar 2015
Neoliberale Hofberichterstattung

Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomismus

Fundstücke

 

Wie kann das sein? Da verfasst das vom deutschen Unternehmerkapital finanziell bestens ausgestattete «Institut der deutschen Wirtschaft» (IW) eine Studie, deren ideologischer Gehalt darin besteht, seine Rentabilitätsinteressen mit denjenigen aller Bürger gleichzusetzen, und die Berliner Zeitung übernimmt das Ganze sang und klanglos in einem Leitartikel (andere Zeitung ebenso, aber nicht so exponiert): «Die Globalisierung nützt Deutschland» steht in großen Lettern auf der Frontseite vom 7. Januar 2015. Einen Kommentar, der wenigstens ein gewisses Maß an Distanz markieren könnte, gibt es nicht.

Mission accomplished, haben sich da wohl die Unternehmensstrategen gedacht. So billig war PR noch nie. Man muss einfach eine als wissenschaftlich seriös daherkommende Studie finanzieren, die selbstverständlich den eigenen Interessen dient, diese an die Medien schicken, und die veröffentlichen das brav. Kein Wort davon,

  • dass das gesamte Wachstum der letzten 15 Jahre und noch mehr zu den Vermögenseinkommen geflossen ist,
  • dass die Exporterfolge durch Lohnverzicht und die Etablierung eines «der besten Niedriglohnsektoren» (Gerhard Schröder) und weitere neoliberale Geschenke erkauft wurden,
  • dass das Exportwunder auch ein Export von Arbeitslosigkeit ist, und wenn die niederkonkurrenzierten ausländischen Beschäftigten (die ja volkswirtschaftlich gesehen auch die Käufer sind) dann wieder ihre Schulden bei der hochkompetitiven deutschen Exportwirtschaft nicht zahlen können, dann, so das Groteske des Ganzen, darf es der kommune Steuerzahler wieder richten und die Rechnungen bezahlen (oder dafür bürgen),
  • dass das Kapital mit all seinen Gewinnen doch ohnehin nicht weiß, wohin damit und sich im Anlagenotstand befindet.

Stattdessen wird die Kritik am Ausverkauf der Demokratie durch TTIP mit Fremdenfeindlichkeit («Pegida»), also mit Menschenverachtung in Verbindung gebracht. So soll sich das Unternehmerkapital offenbar auch moralisch im Recht wähnen.

Ist diese neoliberale Hofberichterstattung Unbedarftheit geschuldet, Zeitdruck oder muss man hier, angesichts des finanziellen Drucks, unter dem die Tageszeitungen stehen, Schlimmeres vermuten?

P.S. Der Leserbrief wurde (leicht kürzer eingereicht) am 17./18. Januar 2015 in der Berliner Zeitung publiziert.