05. Februar 2020
«Der Wettbewerb hat immer recht»

Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomismus, Orientierungen

Fundstücke

 

Derzeit wird über schamlos tiefe Lebensmittelpreise, vor allem Preise für Fleisch, nachgedacht. Eine nachhaltige Landwirtschaft, die das Tierwohl achtet, die Gewässer nicht übermäßig mit Nitrat belastet, möglichst wenig Klimagase ausstößt und für auskömmliche Einkommen für die in der Landwirtschaft Tätigen sorgt, ist mit €2,72 für ein Kilo Hänchenschenkel nicht zu haben.

Einer der für den Preisdruck gescholtenen Chefs der großen Einzelhandelsketten, Markus Mosa von Edeka, meint dazu: «Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Lebensmittelindustrie und des deutschen Lebensmitteleinzelhandels ist Ergebnis des funktionierenden Wettbewerbs.» Vermutlich hat er dies genau so gemeint, wie es der Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Michael Kläsgen, einordnet. Damit nämlich, «rechtfertigt Mosa sogar den Preisdruck auf die Landwirte».

Wenn gesellschaftliche Verhältnisse (hier: innerhalb der Landwirtschaft inkl. ihrer Wirkungen auf Tiere, Pflanzen und Menschen) Ausdruck von Wettbewerb sind, eines «funktionierenden», also wirksamen und tendenziell «vollständigen» zumal, dann muss es mit ihnen seine Richtigkeit haben.

Friedrich August von Hayek, der die ungeheuer wirkungsmächtige Mont Pèlerin Society 1947 gegründet hat, um genau dieses Denken breitenwirksam zu installieren, womit er großen Erfolg hatte (vgl. Walter Ötschs großangelegte Studie Mythos Markt. Mythos Neoklassik), hätte seine helle Freude. Man muss den Wettbewerb als gesamtgesellschaftliches Herrschaftsprinzip nicht mehr mit mehr oder minder steilen und also angreifbaren Thesen verteidigen – wie etwa: «Wettbewerb als Entdeckungsverfahren» (man «entdeckt», was das Vernünftige sei – ohne Wettbewerb also keine Vernunft). Oder: «Wettbewerb ist solidarischer als Teilen» (Karl Homann, vgl. zur Kritik hier). Oder: «Wettbewerb bringt Qualität» (Peter Glotz, einer der Architekten der neoliberalen Wender innerhalb der Sozialdemokratie, irgendwann in den 1990ern). Vielmehr kommt die Wettbewerbsaffirmation im Modus einer gar nicht mehr zu hinterfragenden Selbstverständlichkeit daher.

Was, wenn Mosa Recht hätte, die Erklärung (Es ist der Wettbewerb) aber nicht zugleich eine Rechtfertigung wäre? Gerade lese ich Uwe Schneidewinds «Die große Transformation» und finde zum Thema «Ernährungwende» (S. 249 f.): «Verantwortlich» für die zunehmenden «Nebenfolgen» der Landwirtschaft wie Klimagasbelastungen, Nitrateinträge und Rückgang der Artenvielfalt seien «nicht einzelne Akteure» bzw. nicht diese je allein: «Konsumenten, Landwirte, Handel und Industrie sind vielmehr gefangen in einem Ernährungssystem, in dem die durch einen intensiven internationalen Wettbewerb niedrig gewordenen Preise den Ökonomisierungsdruck für alle Akteure in der Wertschöpfungskette hochhalten.»

Die Rollen von «Täter» und «Opfer» «verschwimmen» (wobei es selbstverständlich Treibende und eher Getriebene gibt; die neuen Grundbesitzer und Investoren, die die Pachtpreise in die Höhe schießen lassen, zählen sehr eindeutig zu den treibenden Kräften, sind aber auch nicht die einzige Kraft). Dies ist im instanzlosen Wettbewerb stets der Fall ist. Dies heißt nicht, dass es keine Täter mehr gäbe. «Täter» sind dann allerdings vor allem die Hayeks dieser Welt, also all jene mittelbar oder auch unmittelbar politsch aktiven Akteure (auch die in den Redaktionen, in Administrationen, in Wissenschaft und Think Tanks), die sich einer regulatorischen, sowohl wettbewerbsumlenkenden und als auch wettbeschränkenden Neuorientierung verschließen bzw. diese ideologisch zu vereiteln trachten. Pointiert formuliert: Täter ist der Neoliberalismus, dessen erklärtes Ziel es ist, das Prinzip wettbewerblicher Märkte als oberstes Herrschaftsprinzip zu installieren.