03. Dezember 2019
«Der marktgerechte Mensch»

Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomisierung

Hinweis auf einen Dokumentarfilm

 

Die beiden Filmemacher Leslie Franke und Herdolor Lorenz sind unermüdliche Kämpfer gegen die Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse und die Neoliberalisierung der Politik. Nach «Wer rettet wen?» über die Bail-Outs der Banken und ihrer Gläubiger (die Inhaber von Nettovermögenspositionen), «Water Makes Money» über die Privatisierung der Wasserversorgung und «Der marktgerechte Patient» wird nun einerseits allgemeiner die Ökonomisierung thematisiert, andererseits auf die Arbeitswelt fokussiert, in der sich ja alle bewegen müssen (so sie nicht Rentiers sind) und die durch diverse Formen «arbeitsweltlicher Zuspitzungen» geprägt ist. Der treffende Titel lautet: «Der marktgerechte Mensch».

Mit dem Begriff der «Marktgerechtigkeit» der Lebensverhältnisse oder gar des Ichs («der Mensch») bringen die Autoren das ökonomistische Programm gut auf den Punkt. (U.a. deshalb hat das MeM das Filmprojekt, das sich in seinem finanziell äußerst bescheidenen Ausmaß über Crowdfunding finanziert hat, ja auch – rein symbolisch - unterstützt.) Ebenso wie eine Politik, die nicht «marktkonform» ausgerichtet ist, zum Scheitern verurteilt sei, wie die Neoliberalen behaupten (man müsste einerseits entgegnen: das stimmt so sicher nicht, andererseits: und soweit es stimmt, müsste eben auf höherer institutioneller Stufe angesetzt werden), kommen Lebensentwürfe, die nicht genügend «marktgerecht» ausgerichtet sind (Ökonomen würde sagen: nicht genügend «rational»), zunehmend unter die Räder.

Was dies konkret bedeutet, wird der Film sicher in der für gute Dokumentarfilme eigenen Art pointiert aufzeigen. Die Premiere ist der 16. Januar 2020.

Wer den Film sehen möchte, muss allerdings selbst aktiv werden. Das ist offenbar der Preis eines unabhängigen Films, der darum ein «Film von unten» sein muss und sein will. Die Einzelheiten finden sich hier.

Auf jeden Fall ist es ein Film zur rechten Zeit. Das marktextremistische bzw. «marktfundamentale» (Walter Ötsch) Programm, demzufolge politisch gute Argumente stets «ökonomischer» Natur, also solche der Marktkonformität bzw. Wettbewerbsfähigkeit zu sein haben, scheint sich überlebt zu haben. Eine wenn auch knappe Mehrheit der Mitglieder der ältesten Partei Deutschlands, der SPD, hat sich mit der Wahl von Walter Borjans und Saskia Esken für eine Abkehr von der gut zwei Dekaden währenden neoliberalen Vereinnahmung auch noch der Sozialdemokratie verabschiedet. Dies ist die Bedeutung dieser Wahl, und genau dies dürfte auch der tiefere Grund sein, warum die Leitartikler praktisch aller bedeutenden Medien die Gewählten verächtlich machen und so tun, als verstünden sie gar nicht, worum es hierbei geht.

Es sind nach wie vor dicke Bretter zu bohren, weil der Neoliberalismus auch in Köpfen sitzt, im (Ökonomie-)Studium verinnerlicht wurde – oder sich einfach als die «professionelle» Position wähnt. Zeitenwende bedeutet aber etwa auch, dass man heute auch in Leitmedien wie der Süddeutschen Zeitung lesen kann, dass «der marktradikale Kurs zu weit ging». An seine Stelle hätte ein «progressiver Kapitalismus» (Joseph Stiglitz) zu treten, der die Einbettungsidee, für die im Alltagsverständnis der Begriff «Soziale Marktwirtschaft» steht, zu revitalisieren und (heute vor allem auch in ökologischer Hinsicht) zu erneuern sucht.