Der Business Case – als Gewinnerethik
Ulrich Thielemann
Kategorie: Unternehmensethik
Der Business Case for Ethics bestimmt nach wie vor praktisch die gesamte Diskussion um die (angeblich) verantwortungsvolle Unternehmensführung. So etwa jüngst auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen im Vorwort zum «Aktionsplan CSR» der Bundesregierung: «Corporate Social Responsibility, kurz CSR, kommt der Gesellschaft insgesamt zu Gute und zahlt sich auch für die Unternehmen aus.» Und dann noch einmal: «Die wichtigste Botschaft lautet: Wenn Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, lohnt sich das für alle.» Also auch für die Unternehmen und ihre Aktionäre. Als sei die Kapitalquote an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung nicht bereits hoch genug.
Seit einiger Zeit beschäftigt mich eines der komplexesten Manifestationen dieses Business Case, die für Skeptiker und Kritiker der These, dass sich «Ethik» langfristig auszahle, besonders herausfordernd ist: Einige Unternehmen, gerade besonders erfolgreiche, tun tatsächlich erstaunliche Dinge, die man, jedenfalls für sich genommen, kaum anders denn als Manifestationen verantwortungsvoller Unternehmensführung klassieren muss. Trifft der Business Case for Ethics also doch zu?
Das Beispiel BMW
Hierzu mag etwa BMW zu zählen sein. Das Unternehmen erhielt jüngst den «DuMont-DWS-Preis für verantwortliches Wirtschaften». Und zwar nicht nur, «weil das Unternehmen den Abgasausstoß seiner Wagen reduziert», sondern auch, «weil sich der Konzern vorbildlich um seine Beschäftigten kümmert.» (Alle weiteren Zitate ohne Quelle stammen aus diesem Beitrag der Frankfurter Rundschau.) Da das Unternehmen derzeit Rekordgewinne einfährt, ließe sich wohl sagen: Die «Triple Bottom Line», der «Gewinn» in den Dimensionen Ökologie, Soziales und Finanzerfolg, ist voll erfüllt. Und so begründet BMW dies alles dann auch instrumentalistisch, also mit dem Business Case: «Nachhaltiges Handeln», schreibt Norbert Reithofer im Vorwort des aktuellen Nachhaltigkeitsberichts – gemeint ist: in allen erdenklichen Dimensionen ethisch verantwortungsvolles Handeln –, «ist die Rendite der Zukunft.» BMW, formuliert die Frankfurter Rundschau, mache «all dies nicht aus Gutmenschentum». Sonst dürften dem Konzern wohl auch die Aktionäre davonlaufen. Vielmehr sei BMW der Auffassung, dass etwa der geringere Energieverbrauch sich direkt in «ökonomischen Mehrwert für das Unternehmen» übersetze.
Greenwashing?
Was diese ökologische Dimension anbelangt, so wird vor allem die Reduktion des durchschnittlichen Flottenverbrauchs ins Feld geführt (zwischen 2007 und 2010 um 14%) sowie ein im Vergleich zu Audi und Mercedes-Benz tieferer (im Vergleich zu VW allerdings höherer) CO2-Ausstoss. Natürlich könnte man hier sozusagen branchenbezogenes Greenwashing ins Feld führen. (Ist es nicht eigentlich besser, wenn wir «weniger Autos statt mehr» hätten, hatte Winfried Kretschmann vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Baden-Württembergs rhetorisch gefragt.) Hierzu zählen auch die Rebound-Effekte, die im FR-Beitrag dann auch ein Vertreter des BUND ins Feld führt: «Ein Großteil des [Öko-] Effizienzgewinns geht verloren, weil die Autos größer und schwerer werden, sowie mit stärkeren Motoren ausgestattet werden.» Und weil davon ganz schön viel verkauft werden. Und das ist, nach Ansicht der «Nachhaltigkeits»- Bewerter von DuMont, auch gut so. Denn bei der Berechnung der CO2-Öko-Effizienz wird die CO2-Emission von BMW in Relation zum Umsatz gesetzt. Man kann sich mit einem höheren Umsatz in Sachen CO2 also sozusagen «freikaufen», was nicht nur teure Autos begünstigt, sondern auch Wasser auf die Mühlen der Rebound-Kritiker ist. Und so wächst der CO2-Ausstoß ja auch weltweit hübsch weiter an.
Soziale Verantwortung: Premium-Ethik
Wenn wir einmal von der ökologischen Seite der «Nachhaltigkeit» bzw. der Unternehmens-verantwortung absehen und uns der sozialen Verantwortung zuwenden, so gibt es Erstaunliches zu berichten. Die FR: «Angesichts eines "verschärften Wettbewerbs um Fachkräfte" gewinne die "Personalstrategie" klar an Bedeutung, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht.» Einwenden ließe sich hier allerdings: Wer nicht «Fachkraft» ist, hat das Nachsehen und landet im Niedriglohnbereich – in den man ihn vorher ougesourct hat? Wie eine Antwort auf diesen Einwand klingt der Hinweis, dass «auch für die Zulieferer relativ "strenge soziale Standards" festgelegt worden seien. Die Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bilden die Basis.» Sind dies vielleicht diejenigen Beschäftigten, die an die Stelle derjenigen Mitarbeiter traten, die im Zuge der als «ehrgeizig» bezeichneten Strategie «Number one» entlassen wurden? «Die umfangreichen Effizienzsteigerungen insbesondere im Produktionsbereich erlauben eine Reduzierung der Personalkapazitäten in der Größenordnung von mehreren tausend Mitarbeitern,» formulierte BMW damals. (Vgl. System Error, S. 7 ff. – Ich habe übrigens gar nichts gegen BMW. Es ist einfach Zufall, sowohl dass ich über diese Strategie «Number One» stieß – ein m.E. treffendes Beispiel für die neue Radikalität im Management – als auch dass ich über die DuMont-Auszeichnung stolperte.) Wie sich der Personalbestand in den letzten Jahren reduziert hat (offenbar vor allem durch Kündigung von Leiharbeitern und teilweise durch Aufhebungsverträge) und zugleich Umsätze und Gewinne gesteigert werden konnten, darüber gibt diese Übersicht Auskunft. Immerhin, so ist der Hinweis auf die (sehr minimalistischen) ILO-Grundsätze zu deuten, müssen diejenigen Beschäftigen, die die zuvor Entlassenen ersetzt haben, nicht unter Sweatshop-Bedingungen arbeiten, wo immer in dieser Welt sich diese Zulieferbetriebe befinden. Ob dies als Fortschritt zu werten ist? (Teilweise natürlich durchaus, da nicht alle Zulieferer Funktionen übernommen haben dürften, die vormals im Hause erfüllt wurden. Dennoch darf auf diesen Zusammenhang - Outsourcing, und dann nur noch ILO-Standards? - hingewiesen werden.)
Die nach dem Stellenabbau verbleibenden «Fachkräfte» sind sozusagen Premium-Mitarbeiter die «Premium-Produkte» (BMW Selbstdarstellung) herstellen. Diese «erhalten nicht nur ihren Lohn pünktlich, sie partizipieren nicht nur mit Erfolgsbeteiligungen am Profit. In Großbritannien können sich Mitarbeiter über eine überdurchschnittlich hohe betriebliche Altersvorsorge absichern, in den USA gibt es eine umfängliche Krankenversicherung, und im Werk Spartanburg entsteht ein Gesundheits-zentrum für Beschäftigte und ihre Familien, inklusive Augenarzt und Zahnarzt. In Indien können Mitarbeiter ihre gesamte Familie und einen Elternteil über BMW krankenversichern.» Ist dies das Paradies? Oder heißt «Erfolgsbeteiligung» stressige Anreizsteuerung? Doch lesen wir weiter.
«Ein Schwerpunkt an den deutschen Standorten ist die Kinderbetreuung. In München, Dingolfing und Regensburg gibt es 140 Kita-Plätze mit Öffnungszeiten, die an die Arbeitszeiten der Mitarbeiter angepasst sind. Um ältere Beschäftigte lange im Job zu halten, wurde in Dingolfing ein Pilotprojekt für "altersgerechtes Arbeiten" umgesetzt. Arbeitsplätze werden so gestaltet, dass es einen Belastungswechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen gibt. Physiotherapeuten betreuen die Arbeitnehmer. Das Konzept soll auf andere Standorte übertragen werden.»
Das ist das Paradies! Ganz ohne Sarkasmus: Es gibt eher wenig daran zu zweifeln, dass die Beschäftigten bei BMW sehr gut behandelt werden und das Unternehmen insofern seiner «soziale Verantwortung» nachkommt (wobei ich die Motivationsfrage und damit die Frage, nach welcher Maßgabe dies denn letztlich alles geschieht, einmal außen vorlasse). Weshalb BMW ja auch immer wieder zu den beliebtesten Arbeitgebern zählt, und zwar nicht nur bei Hochschulabsolventen, sondern auch bei Schülern.
BMW als Teil der Plutonomy-Wirtschaft
Nur beruht dieses Paradies, insoweit es eines ist (dahinter darf man schon auch noch ein Fragezeichen setzen), auf einer fragwürdigen Geschäftsgrundlage: BMW gehört zum Plutonomy Basket. Plutonomy, das war der Begriff, mit dem die Citibank vor allem die US-amerikanische Wirtschaft, aber letztlich die Weltwirtschaft überhaupt charakterisiert hatte. Diese sei im Ganzen auf die «wealthy few» förmlich zugeschnitten, weshalb die Analysten der Citibank den Investoren empfahlen, doch sozusagen in ihren eigenen Luxuskonsum zu investieren. Die Wohltaten für die Mitarbeiter beruhen also auf einer volks- und weltwirtschaftlich höchst fragwürdigen Situation, nämlich auf der wachsenden Schieflage in der globalen Einkommens- und Vermögensverteilung. Die soziale und wohl auch die ökologische Verantwortung beruht sozusagen geradezu auf dem Abschied vom Wohlstand für alle und damit auf einer kaum mehr als fair zu beurteilenden volks- und weltwirtschaftlichen Einkommensverteilung. In diesem Zusammenhang darf man wohl auch den Statuswettbewerb nennen, der sich in aufstrebenden Volkswirtschaften breit gemacht hat. Wie antwortete noch die Chinesin in einer TV-Datingshow auf die Frage, wie sie sich ihren Mann fürs Leben vorstellt? «Ich möchte lieber in einem BMW weinen, als auf einem Fahrrad lächeln.» Ausgerechnet BMW. (Porsche dürfte für Leute, die sich in Datingshows bewegen, eher außer Reichweite liegen.)
Die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge mitbedenken
Aus der Sicht einer integrativ verstandenen Wirtschafts- und Unternehmensethik muss es stets darum gehen, die Marktbeziehungen im Ganzen ethisch zu beleuchten und auf ethische Verkürzungen im Urteil hinzuweisen. Um auf dieser Grundlage die Etikettenfrage zu stellen: Wird die Auszeichnung «ethisch verantwortungsvoll» zu Recht vergeben? Besteht also der «Business Case for ethics», wie ja überall behauptet wird, oder lässt sich davon nicht so einfach sprechen?
BMW dürfte wie viele andere, vielleicht gar eine wachsende Zahl erfolgreicher Unternehmen zu denjenigen Unternehmen zu zählen sein, an denen ethisch kaum mehr viel auszusetzen ist, bezogen sowohl auf den Innenbereich als auch auf das weitere geschäftliche Umfeld. Doch ist das Gewinnstreben, dem BMW (pars pro toto für viele anderen finanziell erfolgreiche Unternehmen) ausdrücklich nicht Einhalt gebieten möchte, das Unternehmen also nach höchstmöglichen Gewinnen strebt (Gewinnmaximierung), ethisch nicht neutral (S. 10 ff.). Letztlich ist mit dieser Nicht-Neutralität des Gewinnstrebens auf den größeren wettbewerblichen Zusammenhang abgestellt, der natürlich stets ethisch mitzureflektieren ist.
«It almost sounds too good to be true», schreibt The Academy of Business in Society (EABIS) in einer Veranstaltungswerbung: »"doing better by doing the right thing". Companies paying employees above the industry-average, investing in making operations more environmentally sustainable and insisting on their suppliers’ profitability are outperforming the market over a ten-year period.» Wenn allerdings die «ethischen» Unternehmen die anderen Unternehmen in Sachen Rentabilität und Markterfolg «outperformen», dann werden diese anderen Unternehmen (und deren Beschäftigte) entweder verdrängt, oder sie haben sich mit tieferen Einkommen zu begnügen. Ist dies legitim? Vielleicht. Vielleicht ist dies der gesuchte «Ethikwettbewerb» (S. 29). Doch abgesehen davon, dass ich unter dem Begriff verstehe, dass der Marktwettbewerb in der «Münze» des ethisch besseren Arguments ausgetragen wird, so ist es doch immer noch ein Wettbewerb. Und dieser schafft Gewinner und Verlierer. Diese Verlierer haben dann das doppelte Nachsehen: Sie erzielen für sich oder für ihre ökonomischen Stakeholder vergleichsweise geringe Einkommen, oder sie spielen sich insgesamt in einem Tiefeinkommenssegment ab (man denke an den Textildiskounter KiK), und zugleich gelten sie, durchaus mit einiger Berechtigung, als ethische «Schmutzfinken».
«Too good to be true», dies lässt sich also durchaus wörtlich verstehen. Diese anderen Unternehmen dürften nämlich kaum aus der «ethischen Falle», wenn man so sagen kann, herauskommen. Wir hätten sonst eine andere Marktwirtschaftsordnung, eine solche nämlich, die durch breite Teilhabe (und ein begrenztes Niveau des Wettbewerbs) gekennzeichnet ist statt durch steile und ohne eine entsprechende Einkommenspolitik weiter wachsende Einkommensdisparitäten. Dies passt zu der Beobachtung zweier amerikanischer Betriebswirte, die bei der Suche nach dem «Business Case» auf das Muster «ganz oder gar nicht» stießen: Hohe Gewinne erzielen Unternehmen, die entweder gar nichts in Sachen «Ethik» tun und ebenso solche, die «viel Geld für Umwelt- und Sozialengagement ausgeben», die sich dies also leisten können. Und beide Seiten hängen durchaus zusammen, so dass der «Business Case», der ja ein genereller sein soll, auch diesbezüglich als widerlegt gelten darf. An der mehr oder minder plausibel darstellbaren Korrelation zwischen «Ethik» und Erfolg lässt sich also nicht ablesen: Schaut her, «Ethik» zahlt sich doch langfristig aus.
«The winner takes it all» – auch die «Ethik»
Es verhält sich hier so wie im Falle einer Spendenethik (S. 211 f.) – diese allerdings hier weit verstanden und dabei mitbedacht, dass diese nach Maßgabe des Sich-Auszahlens, also instrumentell, betrieben wird: Es handelt sich um eine Ethik nach geschlagener Wettbewerbsschlacht, ohne dass diese «Schlacht» mitreflektiert würde. Dies ist die tiefere Bedeutung der Brechtschen, fast immer missverstandenen Formel: «Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral».
Bezogen auf BMW (und ähnliche «Premium»-Anbieter, in welchem Marktsegment auch immer sie sich bewegen mögen): Das Unternehmen hat sich vermittels seines Geschäftsmodells sozusagen gesamtwirtschaftlich gesehen auf die Gewinnerseite schlagen können. Auf dieser Basis ist es vergleichsweise leicht, ethischen Anforderungen zu genügen – oder ethische «Erwartungen» gar zu überbieten. Und aus dieser Wettbewerbsstärke heraus kann das Unternehmen sogar zusätzliche Markterfolge durch «Ethik» erzielen – etwa indem es «Talente» an sich bindet, denen «die Ethik» auch noch wichtig ist. «The winner takes it all» bekommt so eine ganz neue Bedeutung: Der Gewinner bekommt den finanziellen Gewinn und dazu auch noch die Anerkennung als «Ethik-Champion».
Man erkennt hieran, dass sich Unternehmensethik nicht auf Geschäftsethik beschränken kann, sondern einer umgreifenden Wirtschaftsethik bedarf, die die größeren Zusammenhänge des (globalen) Wettbewerbs einschließlich der Einkommens- und Vermögensverteilungen mitreflektiert. Diesbezüglich muss wohl gesagt werden, dass BMW in einer Welt flacherer Einkommens- und Vermögensdisparitäten vermutlich weniger erfolgreich wäre – und sich dann auch nicht mehr die «Ethik», die das Unternehmen sich im Moment leistet, leisten könnte? «Könnte» dürfte falsch sein. Diese Geschäftsethik wäre dann nur nicht mehr mit einer unbeschränkten Gewinnorientierung vereinbar.
Nachtrag (9. Februar 2012)
Dass BMW nicht allein mit «Premium»-Stakehodern zu tun hat, zeigt dieser Beitrag von Monitor, in dem vor allem Siemens, aber auch BMW, vorgeworfen wird, «Lohndrückerei zu vertuschen»: Da Leiharbeitsverträge mit regulären Arbeitsverträgen gleichgestellt werden, werden diese nun in Werkverträge umgewandelt und damit aus dem Arbeitsrecht herausgenommen. Vgl. für BMW auch hier und hier.
Die betroffenen Beschäftigten kommen offenbar nicht in den Genuss der «Premium-Ethik» – etwa da sie als austauschbar betrachtet werden, zu wenig «Fachkräfte» sind oder weil man glaubt, diese Praxis bilde kein «Reputationsrisiko», jedenfalls keines, dass die ökonomischen «Chancen» (durch Kosteneinsparungen) kompensieren würde. – Dies alles bestätigt: Im Business Case werden die Ansprüche der Stakeholder nicht nach Maßgabe ihrer Legitimität berücksichtigt, sondern nach Maßgabe ihrer Macht, die Rentabilität zu beeinflussen.