21. Juni 2012
David Cameron legt den «roten Teppich» aus für Steuerflüchtlinge

Ulrich Thielemann
Kategorie: Steuergerechtigkeit, Regulierung, Ökonomismus

Wo bleibt die Ächtung als «unfreundlicher Akt»?

 

Ich las es in der FAZ und konnte es kaum glauben: Da möchte der frisch gewählte französische Präsident, Françoise Hollande, endlich wieder zu (Kapital-)Besteuerungsverhältnissen zurückkehren, wie sie zu Zeiten der Sozialen Marktwirtschaft gang und gäbe waren (vgl. für die USA hier, für Deutschland Bontrup, S. 23 und Jahnke, für Europa die WOZ), wobei es sich nicht um einen Zufall handelt, dass eine breite Teilhabe am gemeinsam erzeugten Wohlstand («Teilhabekapitalismus») und die Hochbesteuerung hoher Einkommen (im Wesentlichen also von Kapitaleinkommen) korrespondieren – und dem britische Tory Premier David Cameron fällt nichts anderes ein, als «am Rande des G-20 Treffens in Mexiko», also vor den Augen der aufmerksamen Weltöffentlichkeit, den französischen Kapitaleinkommensbeziehern (Private und Unternehmen) den «roten Teppich» auszulegen, sie also zur Steuerflucht zu ermuntern. Die Steuerflucht, zu der Cameron reiche Franzosen ermuntert, dürfte zwar dem Buchstaben nach nicht bloß pekuniär ausfallen, sie unterläuft jedoch durch die «Resident but not Domiciled»-Regel das Wohnsitzprinzip in perfider Weise – ähnlich wie die Schweizer «Pauschalbesteuerung».

Meine erste Reaktion war? Warum wird dies nicht sogleich als «unfreundlicher Akt» von der (restlichen) Staatengemeinschaft geächtet, da es ein offensiver Angriff auf demokratisch getroffene Entscheide eines Nachbarstaates ist (wie Richard Murphy, ich sah es später, treffend festhält)? Es ist eine Art Kriegserklärung, öffentlich und für alle vernehmbar ausgesprochen. Und dabei muss ja wohl nicht eigens betont werden, dass ein solcher «Steuerwettbewerb» den nötigen Übergang hin zu einer wieder breitenwirksam fairen Teilhabe an der Wohlstandserzeugung unterläuft, weshalb hierzu eine weltinnenpolitische Koordination nötig ist – eine Art globales Waffenstillstandsabkommen, in dem die Staatengemeinschaft festhält, dass sie sich gegenseitig nicht das Steuersubstrat abspenstig macht.

Später sah ich, dass es doch einige solcher Reaktionen gab. Diese traten allerdings zumeist in eher strategischer (und dabei reichlich ohmächtig-unbeholfener) statt moralischer Art auf. Nur Hollande brachte moralische Autorität zum Ausdruck - ohne diese freilich zu substantiieren -, indem er festhielt: «Jeder muss für das verantwortlich sein, was er sagt.»

Dass die Erklärung (oder auch die Praxis) des Angriffs auf ausländische Steuersubstrate nicht als «unfreundlicher Akt» geächtet ist, mag auch damit zusammenhängen, dass dieser Angriff von der ökonomistischen Ökonomik, die das Sagen hat, befeuert wird. Rüdiger Bachmann jedenfalls – ja, wir scheinen uns «obsessiv» miteinander zu beschäftigen – findet daran gar nichts auszusetzen, obwohl er doch eigentlich nur «Technisches» von sich geben möchte. Schließlich, so meint Bachmann, «sollen» und dürfen die Leute alles das tun, was sie für «profitabel» halten. Und überdies spricht er von «der Regierung» stets in der dritten Person, ganz so, wie dies Marktlibertäre tun. Und natürlich sind Einkommen streng «privat» erzielt, sie bilden nicht etwa Anteile an einem arbeitsteilig unter Wettbewerbsbedingungen erstellten Sozialprodukt, weshalb sie stets genuine Wertschöpfung, niemals Abschöpfung repräsentieren. Auch diese Dschungeltheorie der Einkommenserzielung ist dem Marktlibertarismus zuzuordnen.

Mit welcher Autorität spricht Bachmann Cameron und den Steuervermeidern die Legitimität zu und dem Steuerstaat die Legitimität im Kern ab? Spricht er hier bloß als ein Staatsbürger, der allerdings libertär gepolt ist (also dann wohl eher als Privatbürger) und der zufälligerweise auch einen (staatlich finanzierten) Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre inne hat? Der gesamte Blog des «Lumpenökonomen» spricht eine andere Sprache. Mit welcher Legitimität ist dieser Marktlibertarismus, der den «technischen» Formelfriedhöfen offenbar zu Grunde liegt, eigentlich mit den Weihen der einzig autorisierten Weise, über wirtschaftliche Fragen Wissenschaftliches zu sagen, ausgestattet?