01. September 2011
Das Ende der Marktgläubigkeit erreicht den Konservatismus

Ulrich Thielemann
Kategorie: Orientierungen

»Ein Bürgertum, das seine Werte und Lebensvorstellungen von den ›gierigen Wenigen‹ (Moore) missbraucht sieht, muss in sich selbst die Fähigkeit zu bürgerlicher Gesellschaftskritik wiederfinden«, schreibt FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher und benennt damit das, worum es auch dem MeM geht: Dem Markt und seiner Logik seinen relativen Platz geben, und d.h.: Das, was der Mainstream der Ökonomik bereits grundbegrifflich voraussetzt und der faktische »Prinzipal« dieser Welt, das Kapital, und seine »Agenten« machtvoll in die Tat umsetzt, dass die Marktlogig zum Prinzip der Gesellschaft werde, verhindern. Und da dies faktisch geschieht, ist diese Relativierung und Platzanweisung ein ethisch-kritisches Geschäft.

Zugegeben, die kathartischen Revisionen der »Konservativen«, wie sich die Autoren selbst bezeichnen, liegen bereits einige Wochen zurück – der Thatcher Biograph Charles Morre verfasste sein »I'm starting to think that the Left might actually be right« am 22. Juli 2011, Frank Schirrmacher seinen daran anknüpfenden Text über »Bürgerliche Werte« am 15. August 2011. Doch sind diese Stellungnahmen gerade aus diesen Kreisen bedeutend genug, um sie hier zu erwähnen. Denn sie bedeuten, dass die Gleichsetzung von »Konservatismus« – ja, es gibt durchaus einiges zu bewahren – und »Bürgerlichkeit« – wir sind doch alle Bürger, citoyens, Weltbürger hoffentlich – mit Marktgläubigkeit ein Ende hat oder jedenfalls haben könnte und haben müsste. Denn die Bedenken der weniger Denker aus dem Kreise der »konservativen Rechten« gegebenüber ihren eigenen Leuten, wenn man so sagen kann, »ist nicht ihr Privatproblem. Es ist das Problem der ganzen Welt«, wie Constantin Seibt, der vermutlich klügste Kolumnist der Schweiz, treffend im Tagesanzeiger schrieb.

Wie ein kluger Kommentator des Schirrmacher-Beitrages treffend feststellt, markieren diese Interventionen (ebenso wie auch diese) »politisch betrachtet … einen diskursiven Bruch. Aus Freund-Feind (Carl Schmitt) erwächst ein Ringen um das bessere Argument (Jürgen Habermas). Wenn es nur endlich gelingen würde die – im Übrigen schon immer zu einfache – Rhetorik von rechts-links, progressiv-konservativ, liberal-sozialistisch zu überwinden und in einen offen Disput und Streit um unsere Zukunft zu überführen, wäre das ›dunkle‹ Zeitalter der neoliberalen Alleinherrschaft selbst Geschichte.«

Hoffen wir, dass damit das Schwarz/Weiß-Denken aufhört (entweder das Prinzip Markt herrscht oder gar kein Markt; entweder die Unternehmen betreiben Gewinnmaximierung oder sie erzielen gar keine Gewinne und sind natürlich morgen pleite) und also, »dass die Reflexion zurückkehrt«.