07. März 2012
«Das Ende des ökonomischen Imperialismus»

Ulrich Thielemann
Kategorie: Ökonomismus, Orientierungen

Chapeau! – Prof. Straubhaar

Wie eine Bestätigung der Ansicht, die Ökonomik befände sich in einer Orientierungskrise und dass der «Kaiser», als den sie sich bislang gesehen hatte, nun «nackt» (Martin Kolmar) sei, liest sich das Interview mit Thomas Straubhaar, in dem dieser «das Ende des ökonomischen Imperialismus» fordert und seine Kollegen zu mehr «Bescheidenheit» ermahnt. Wow. 

Denn die Finanzkrise ist das Fanal der Ökonomenzunft. «Die Globalisierung der Finanzmärkte hat die gängige Lehre überrollt.» Zwar glaubt der natürlich positivistisch denkende Ökonom, hierbei handele es sich um die «Übereinstimmung» der Theorie und ihrer «ökonomischen Ideen und Glaubenssätze mit der Empirie», die eben nicht mehr gegeben sei. (Vgl. zum impliziten Ökonomismus des Positivismus hier, S. 95 ff.) Doch geht es eben letztlich um einen normativen «Glaubenssatz», der nun nicht mehr plausibel ist, nämlich um den sozusagen großen «Business Case» der Übereinstimmung zwischen «mikro- und makroökonomischer Rationalität», zwischen dem «individuellen Gewinnstreben» des Homo oeconomicus und dem gesellschaftlich Guten, Richtigen, Legitimen, Gerechten, oder kurz: zwischen Erfolg und Ethik. Ab nun ist klar: Hier besteht nicht etwa Übereinstimmung, sondern eine «Diskrepanz». Die ökonomistische Botschaft, «vernünftig ist, was rentiert» (Max Frisch), gilt nicht mehr.

Zwar dürften Kollegen wie etwa Rüdiger Bachmann einwenden, dies sei doch ein «alter Hut», nämlich der zwischen «kurzfristigem» bzw. kurzsichtigem und «langfristigem Erfolg», wie er sich etwa in der an innerer ökonomistischer Konsequenz nicht zu überbietender Verfassungsökonomik James M. Buchanans findet (vgl. hier, S. 177-183), woraus sich ein «Gefangenendilemma» ergebe, aus dem die Transzendentalökonomen im Umkreise Karl Homanns eine (Anti-)Ethik der Rechtfertigung des Homo oeconomicus meinen zimmern zu können (die übrigens nichts anderes denn eine Ethik des Rechts des Stärkeren markiert).

Doch sind dies eben reichlich «theoretische» Überlegungen, die kaum eine plausible Interpretationsfolie für die gegenwärtige Situation abgeben. Was soll denn daraus politisch folgen? Wenn etwa der ökonomische Mainstream, in Übereinstimmung mit dem ökonomistischen Paradigma, die Krise damit «erklärt», dass die Finanzmarktakteure nicht genügend «rational» gehandelt, also ihr Eigeninteressen verfehlt hätten, so kann dem jeder Laie entgegnen, dass die Reichen offenkundig durch die Krise und ihre Bewältigung noch reicher geworden sind, wie etwa ein Blick auf den aktuellen «Bloomberg Billionaires Index» verrät.

Natürlich ist die entscheidende Frage, was denn dann den unvermeidlichen normativen Bezugspunkt abgibt, in dessen Lichte das Wirtschaftsgeschehen von Ökonomen beleuchtet wird, wenn es nicht mehr der Homo oeconomicus ist. Was sind die normativ maßgeblichen «makroökonomischen Ziele», was heißt «makroökonomische Rationalität»? Straubhaar gibt darauf keine überzeugende Antwort. Ja, er übersieht, dass der «erkenntnisleitende Gesichtspunkt» (Max Weber) einer jeden Sozialwissenschaft unausweichlich ein normativer ist, weshalb ja bereits faktisch gilt: «Ökonomik ist Ethik» (Karl-Heinz Brodbeck).

Doch immerhin weist er das positivistische (krypto-normative) Selbstverständnis der Zunft insofern zurück, als er seine Kollegen aufruft, sich nicht länger als Vertreter einer «Naturwissenschaft» zu verstehen, da auch die Volkswirtschaftslehre selbstverständlich «eine Geistes- und Sozialwissenschaft» sei. Es bedürfe einer grundlegenden «Erneuerung der Lehre», d.h. der Grundlagen des Fachs, wobei sich Straubhaar Unterstützung von «Historikern, Psychologen und Soziologen» erhofft.

Wie wäre es mit einer paradigmatischen Erneuerung des Fachs selbst? Wie wäre es zumindest mit einer paradigmatischen Offenheit innerhalb der Disziplin der Wirtschaftswissenschaften, in deren Zuständigkeitsbereich das Wirtschaften im Ganzen ja definitionsgemäß fällt, selbst? Und zwar einer solchen, die auch denjenigen Positionen einen akademischen Raum gibt, die in den Wirtschaftswissenschaften (Wirtschaftssoziologie eingeschlossen, vgl. etwa Hartmut Rosa, S. S. 87 ff., 205 ff.) eine sinnhaft und faktisch unausweichlich normative Wissenschaft erblicken, deren Normativität allerdings nicht, wie bislang, wild, sondern methodisch-diszipliniert, also kritisch-reflexiv, anzugehen ist? Wie wäre es, eine solche Revolution der ökonomischen Denkungsart zuzulassen?

Prof. Straubhaar, der Ball liegt nun bei Ihnen, bei den Ökonomen. Und er liegt bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren (Bürgern, Bloggern, Journalisten, Studenten, Philosophen, Sozial- und Geisteswissenschaftlern usw.), den Druck auf die akademisch etablierte Ökonomik zu erhöhen, um die dringend erforderliche Erneuerung der Ökonomik, angesichts des Scherbenhaufens, vor dem sie steht, anzustoßen und zu befördern.