Blasenabbau durch Vermögensbesteuerung?
Ulrich Thielemann
Kategorie: Kapital, Steuergerechtigkeit
Warum die aktuelle Kampagne von Campact wichtig ist
«Wer zahlt für die Krise? Reichtum besteuern!» So lautet die aktuelle Kampagne von Campact zur Euro-, Banken- bzw. Finanzkrise, zu deren Unterstützung ich ausdrücklich ermuntern möchte. Sie könnte einen Paradigmenwechsel einleiten. Denn sie bringt die wichtige Perspektive des Abbaus von Kapitalbeständen ins Spiel – Campact selbst spricht vom «Abpumpen» von Kapital «aus dem aufgeblähten Finanzmarkt» –, die von den neoklassischen wie den keynesianischen Hofierern des Kapitals abzuweisen versucht wird.
Hintergrund: Marktwirtschaft grotesk
Dieser Beitrag, auf den Campact verweist, bestätigt meine Vermutung, dass es in der Tat zu guten Teilen in Deutschland von Inländern erwirtschaftetes oder je nachdem abgeschöpftes (Blasen-)Kapital ist, welches etwa nach Spanien floss, dort aber (auch) nicht die erwarteten Renditen abwarf und nun (warum genau, das wäre natürlich zu fragen) wieder durch die «weniger wohlhabenden Steuerzahler» abgesichert werden soll.
Die Durchschnittsbürger bzw. -arbeitnehmer Deutschlands sollen also der vorherrschenden Meinung nach für diejenigen Beträge aufkommen, die ihnen zuvor bereits vorenthalten wurden. Sie sollen also doppelt zahlen: Zunächst haben sie durch Lohnzurückhaltung oder gar Lohnsenkungen gezahlt. Nun sollen sie noch einmal für eben diese Gewinne, die exakt aus dieser Lohnzurückhaltung resultierten, bürgen – und im Notfall zahlen. Nicht genug also, dass sie es zuließen, dass etwa den Aktionären der 30 DAX-Unternehmen monatlich für jeden Beschäftigten durchschnittlich €1.500 als Gewinn überwiesen werden. Da für diese Gewinne «im Heimmarkt Deutschland» kein Bedarf bestand und das Kapital somit «stärker "in den Süden", beispielsweise nach Spanien und Italien» wanderte, dort aber, wie sich heute herausstellt, ebenfalls kein Bedarf bestand und nun die Pleitegeier kreisen, sollen sie diese überschießenden Gewinne noch einmal ermöglichen, nämlich dadurch, dass sie diese absichern. Woher nur sollten sie die Mittel nehmen? Gemünzt auf die DAX-Unternehmen würde dies bedeuten (falls die Bürgschaften erfüllt werden müssen), dass dem Kapital pro Angestelltem nicht monatlich €1.500 zufließen, sondern dieser Betrag noch einmal, also €3.000. Und dies, obwohl die Absicherungen ja gar nicht nötig wären, wenn zuvor nicht diese €1.500, sondern, sagen wir, €150 als monatlicher Gewinn pro Beschäftigtem angefallen wären. Das ist kapitalistische Marktwirtschaft grotesk.
(Mir ist klar, dass diese eine personalistische Zuspitzung ist. Aber in der Wirtschaft interagieren nun einmal Personen miteinander; die (Markt-)Wirtschaft ist nichts anderes als dieses besondere – und durchaus problematische – Interaktionsfeld. Wenn wir hier nur «Daten» sehen, wie dies der ökonomische Mainstream tut, werden die Marktkräfte einfach als Faktum hingenommen, an die «man» sich, und dies sind in der Regel die weniger Marktmächtigen, nur noch anzupassen hat.)
Vermögensabbau durch Besteuerung
Ich bin ja der Meinung, dass es – ohne Katastrophe, ohne dass wir alle in den «Abgrund» (Peer Steinbrück) gerissen werden müssten – möglich sein muss, die Kapitalbestände auf ein irgendwie als leist- und bedienbar zu bestimmendes Maß herunterzufahren. Campact allerdings möchte lediglich diejenigen, «die vor der Krise und vom bisherigen Krisenmanagement am meisten begünstigt worden sind», nämlich «Spitzenverdiener und Vermögende», also das Kapital und eventuell die Kapitaldienstleister, «endlich angemessen an den Kosten der Krise beteiligen». Diese Vermögensbestände selbst dürfen offenbar nicht abgebaut werden. Die Begründung lautet: weil sonst «der Euro auseinanderbrechen» würde – was genau in den «Abgrund» führte, den heraufzubeschwören die Geiselhaft ausmacht, in die das Kapital die Nicht-Rentiers zu nehmen sich anschickt.
Natürlich ist dies sehr ernst zu nehmen. Nehmen wir einmal an, die These trifft zu, dass die Vermögensbestände im Kern abzusichern sind, wie dies die neue Koalition aus Keynesianern und nicht ganz so marktradikal gestimmten Neoklassikern vorschlägt. (Der entsprechende Vorschlag der «Ausweitung des Garantierahmens» für die Vermögensbestände haben etwa hier zu sehr scharfen Reaktionen geführt.) Dann ist die Besteuerung, gewissermaßen die Wegbesteuerung offensichtlich überschüssiger Vermögensbestände, in der Tat der angemessene Weg. Überdies könnte so auch gezielter Gerechtigkeitsgrundsätzen, vor allem dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit, entsprochen werden, weil hohe Einkommen und Vermögen überproportional besteuert würden, bei mehr oder minder wilden Abschreibungen hingegen auch Kleinsparer betroffen wären.
Campact spricht sich vor allem für eine Vermögensbesteuerung unmittelbar aus, also für eine Abschmelzung überschüssiger Vermögensbestände, da eine höhere Einkommensbesteuerung allein nicht ausreicht, «um die jahrelangen Mindereinnahmen wieder annähernd auszugleichen». Ich möchte ergänzen: um die Kapitalbestände zurückzufahren, nämlich auf ein Maß, welches von den Beschäftigten – nur diese schaffen ökonomische Werte – als erwirtschaftbar zu beurteilen ist, und zwar innerhalb des Wirtschaftsraumes, in dem sie im Wettbewerb zueinander stehen (und dies ist übrigens nicht nur die Eurozone, nicht nur Europa, sondern letztlich die Welt). Dies ist natürlich keine Frage einer Faktizität, sondern eine normativ-ethische Frage, die politisch zu beantworten wäre.
Ursächlicher Blasenabbau
Dennoch muss man sehen, dass die durch Besteuerung in die Verantwortung zu nehmenden Vermögensrentiers nicht nur nachträglich «an den Kosten der Krise», die irgendwie vom Himmel zu fallen scheinen, zu «beteiligen» sind – aus Gründen der Solidarität offenbar –, sondern selbst bereits bei der Entstehung der Krise Beteiligte waren. Denn die Krise hat ihre Ursache wesentlich in der Hofierung des Kapitals. Und dieses hat sich gegen seine Hofierung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ganz sicher nicht gewehrt, sondern hat diese aktiv unterstützt – durch all die «neoliberalen Reformen» nämlich. Und damit haben wir es hier nicht nur mit einer Solidaritäts-, sondern mit einer Fairnessfrage zu tun.
Diese Fairnessfrage betrifft den Aufbau und den verantwortungsvollen Abbau der Finanzblase. Eine Blase ist ein normativer Begriff: Sie soll abgebaut werden. (Wer dies nicht meint, sollte nicht von einer «Blase» sprechen.) Normativ ist der Begriff aber auch zur Seite der Entstehung einer Blase hin. Von einer Finanzblase zu sprechen bedeutet – unter dem logischen Primat der Ethik –, dass die realwirtschaftlichen Akteure nicht etwa bloß faktisch nicht in der Lage sind, die den Vermögensbeständen korrespondierenden Renditen zu erwirtschaften, sondern dazu nicht gezwungen werden sollen. Ansonsten ist es keine Blase. Die entgegenstehende Ansicht, die Blasen dadurch definiert, dass die korrespondierenden Schulden nicht beglichen werden «können» (vgl. etwa Michael Hudson's «Debts that can’t be paid, won’t be»), übersieht den pragmatisch-logischen Grundsatz: Was man nicht kann, das kann man lernen – durch «unternehmerische» Anstrengungen nämlich. Zu diesen sollen die Leute durch «Rosskuren» (Hans-Werner Sinn), die im Ökonomen-Jargon ansonsten verschleiernd «strukturelle Reformen» genannt werden, gezwungen werden.
Vielleicht ist der Ausweg, den Campact vorschlägt, ja für diejenigen Kapitalbestände angemessen, die dem Kapital aus realwirtschaftlicher Wertschöpfung zuflossen und die man vielleicht als Abschöpfungserfolge bezeichnen darf. Man denke an das obige DAX-Beispiel. Was ist aber mit denjenigen Vermögensbeständen, die sich allein aus «spekulativen» Pyramidenspielen ergeben haben. (Vgl. zum Unterschied hier S. 3 f.) Wie diese entstehen, hat Günter Wierichs sehr anschaulich dargestellt: Nur weil einige Anleger glauben, dass ein Unternehmen viel höhere Renditen abwerfen wird, als die bestehenden Investoren annehmen, kaufen sie sich ein (vielleicht: erneut mit Blasenkapital, etwa durch Aktientausch?) und treiben den Kurs in die Höhe. Und diese erhöhten Vermögenswerte stehen dann irgendwo in den Büchern. Das ist eine Blase im engeren Sinn. Und wenn das Kartenhaus zusammenfällt, wird der Steuerzahler angerufen, weil ja ansonsten der «Abgrund» droht. «Wenn wir fallen, reißen wir das Unternehmen und damit Euch mit.» Das ist die Geiselhaft im engeren Sinne.
Ich habe keine Ahnung, inwieweit es sich bei den bestehenden nominellen Vermögensbeständen um solches echtes Blasenkapital handelt (welches allerdings gleichsam «unechtem» Kapital entspricht). Ich bin jedoch der Meinung, dass diese rein «spekulativ» entstehenden, letztlich fiktiven Vermögensbestände nicht abzusichern sind und auch nicht durch eine Besteuerung gleichsam zu tilgen sind, auch wenn diese Steuer Vermögensbestände betrifft. Denn diesem Kapital korrespondiert ja gar keine echte realwirtschaftliche Wertschöpfung, sondern nur eine fiktive. Absicherung und Tilgung käme einer Art kalter Geldmengenausweitung gleich. Und wieder wären die realwirtschaftlichen Akteure, durch welche Kanäle auch immer genau, zu Wachstumsanstrengungen gezwungen, obwohl dieses Wachstum höchstwahrscheinlich gar nicht mehr benötigt wird.
Inwieweit handelt es sich bei den Vermögensbeständen, die nun durch Bürgschaften (oder Geldmengenausweitungen) abgesichert werden sollen – etwa mit Blick auf die spanischen Banken – um solche rein fiktiven Kapital- bzw. Blasenbestände? Und wie lassen sich realwirtschaftlich entstandene (oder je nachdem abgeschöpfte) von den rein «spekulativ» erzeugten Vermögensbeständen abgrenzen? Gerne nehme ich sachdienliche Hinweise entgegen.
Übrigens scheint sich Campact des Problems «echter» Blasen durchaus bewusst zu sein. «Der Finanzmarkt ist dank überzogener Renditeversprechen auf das Vierfache der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angewachsen – die meisten Vermögenswerte stehen tatsächlich ‚nur auf dem Papier‘ und sind bestenfalls Wetten auf künftiges Wirtschaftswachstum.» Die Frage, ob wir, jedenfalls die Nicht-Rentiers, diese «Wette» auf weiteres Wachstum erfüllen wollen – etwa um den Faktor 4?! –, scheint Campact zunächst dahingestellt sein lassen zu wollen. Um mit dem Besteuerungsvorstoß wenigstens eine Anfang zu machen. Dieser Anfang verdient eine breite bürgerschaftliche Unterstützung.