Bankenrepublik adieu
Ulrich Thielemann
Kategorie: Steuergerechtigkeit
Warum das Steuerabkommen Schweiz-Deutschland scheitern soll
[Der Beitrag wird auch im Publiblog erscheinen.]
Das Steuerabkommen Deutschland – Schweiz wird aller Voraussicht nach bald gescheitert sein. Nach dem sachlichen Auftritt von Norbert Walter-Borjans in der Arena wächst die Zahl der Schweizerinnen und Schweizer die verstehen, warum dies so ist und warum dies gut ist. Das Abkommen soll nicht nur darum scheitern, weil diejenigen, die Schwarzgeld in die Schweiz verschafft haben, mit dem Abkommen viel zu gut wegkommen und auch noch dafür belohnt werden, dass sie partout ihren Steuerpflichten nicht nachkommen wollen. Es soll nicht nur darum scheitern, weil sie ihr Schwarzgeld zum Schnäppchenpreis weisswaschen lassen können, worin der tiefere Sinn der sog. »Weissgeldstrategie« liegt, im Weisswaschen von Schwarzgeld nämlich, auf dass die Banker damit weiter Geschäfte machen können. Es soll nicht nur darum scheitern, weil den Steuerkriminellen das Abschleichen erlaubt ist, übrigens wohl weniger nach Singapur als vielmehr dadurch, dass sie sich, im Zusammenspiel mit Liechtenstein, hinter anonymisierten Stiftungen verstecken können und die Banken ihnen dabei helfen. Es soll vielmehr scheitern, weil es auf dem falschen Prinzip beruht, nämlich dem Abgeltungsprinzip.
Bankgeheimnis-Patrioten verstehen den Tatbestand nicht
Der Kreis der Bankgeheimnis-Patrioten ist geschrumpft und zugleich gespalten in Befürworter und Gegner dieses Abkommens. Bankgeheimnis-Patriot kann eigentlich nur derjenige sein, der den Tatbestand nicht versteht, um den es hier geht. Es geht nicht um die Art und Weise, wie die Schweiz ihre Steuerinländer besteuert. Es geht einzig darum, dass Steuerausländer, also Steuerpflichtige, die im Ausland, etwa in Deutschland, wohnen und mit der Schweiz ansonsten gar nichts am Hut haben, sich mit Hilfe einiger Schweizer Banken und des Schweizer Rechts ihren Steuerpflichten entledigen können. Wenn man diesen Tatbestand verstünde, könnte man kaum auf die Idee kommen, diejenigen als »Landesverräter« zu bezeichnen, die dem Ausland die Informationen nicht mehr länger vorenthalten möchten, die es für die Besteuerung seiner Steuerpflichtigen braucht. Es sei denn, man erblickt in der Beihilfe zur Steuerhinterziehung einen Teil der Schweizer Identität. Wie etwa SVP-Nationalrat Caspar Baader, der auf meine mehrfach gestellte Frage, mit welchem Recht die Schweiz Steuerausländer von der Besteuerung in ihrem Wohnsitzstaat befreit, antwortete, die Schweiz sei eben ein »freiheitsliebendes Land«. Offenbar sieht Baader in der Schweiz eine Art Freibeuterstaat, der die Staatengemeinschaft ihres Steuersubstrats berauben möchte, wo immer dies geht.
Dies ist nicht die wohlerwogene Meinung der Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer, die mit 56% das Bankgeheimnis für Steuerflüchtlinge abschaffen möchten. Das Ergebnis dieser Umfrage aus dem Jahre 2009 dürfte heute noch deutlicher ausfallen.
Der letzte Versuch, die Schweiz als Bankenrepublik in Dienst zu nehmen
Das gegenwärtige Steuerabkommen ist der letzte Versuch der Schweizer Privat- und Grossbanken, den Schweizer Rechtsstaat für ihre Privatzwecke zu kapern und damit moralisch zu korrumpieren. Damit wurde die Schweiz in eine Art Bankenrepublik umfunktioniert, die, bis tief in die Verwaltung hinein, den Bankern jeden Wunsch von den Lippen abliest oder diese gleich die Gesetze schreiben lässt. Auch ist es der letzte Versuch, das aufzuhalten, was ohnehin nicht mehr aufzuhalten ist, nämlich den globalen Übergang zum automatischen Informationsaustausch. Allein dieser ist in der Lage, die Steuersouveränität der Staaten in Sachen Kapitalbesteuerung und damit die Gleichmässigkeit der Besteuerung zu gewährleisten.
Als der Architekt des Steuerabkommens, Konrad Hummler, von dessen Unterzeichnung erfuhr, entwich ihm eigenem Bekunden nach ein »Voll geil!«. Da der Anteil der Leute, die innerhalb der Schweiz das »voll geil« finden, was Banker »voll geil« finden, im Schwinden begriffen ist, müsste dies stutzig machen.
Das Steuerabkommen versucht ein Abgeltungsregime zu etablieren. Diesem zufolge sollen nur Arbeitseinkommen der Steuerprogression unterliegen. Kapitaleinkommen werden hingegen mit einem festen Prozentsatz besteuert (»flat tax«). Auch Milliardäre sollen nur 25% Steuern zahlen, obwohl der Spitzensteuersatz in Deutschland bei 45% liegt. (Er lag bis in die 1980er Jahre hinein in allen Industrieländern weit darüber.) Dies ist eine steuerliche Privilegierung von Kapitaleinkommen.
Tiefe Eingriffe in die Steuerautonomie Deutschlands
»Aber so macht ihr es doch auch in Deutschland«, wenden die Banklobbyisten und die Regierungsvertreter, die deren Interessen zu Landesinteressen erklärt haben, ein. Dies ist ein zynischer Hinweis. Deutschland hat im Jahre 2009 in der Tat eine Abgeltungssteuer eingeführt. Dies aber nicht als Akt einer autonomen Entscheidung, sondern weil man damit verhindern wollte, dass noch mehr Geld in die Schweiz (und andere Steueroasen) abließt. »Besser 25% auf X, als 42% auf nix«, damit hatte Peer Steinbrück diese Privilegierung von Kapitaleinkommen begründet.
Man sieht, der Eingriff der Steueroasen in die legitime Steuersouveränität anderer Staaten reicht deutlich weiter, als man zunächst annehmen könnte. Es ist nicht nur das aus Deutschland in die Schweiz verschaffte Schwarzgeld in Größenordnungen irgendwo zwischen 100 und 300 Milliarden Euro, um dessen Besteuerung Deutschland beraubt wurde. Es ist viel mehr als das faktisch abgeflossene Steuersubstrat. Die Schweiz hat dem Ausland Steuermittel im Billionenbereich entzogen. Manfred Gärtner von der Uni St. Gallen kommt auf einen Betrag von 3,6 Billionen Franken. Das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland verhindert, dass die Staaten das Kapital angemessen besteuern können. Es führt dem Ausland beim Verfassen der Steuergesetze auf perfide Art die Feder.
Die Schweiz zwingt Deutschland ein Abgeltungsregime auf
Die Schweiz hat Deutschland in Sachen Kapitalbesteuerung sozusagen sturmreif geschossen. Und nun soll das dadurch etablierte Abgeltungsregime zur Referenz für ein dauerhaft etabliertes Steuerabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland werden? Gohts no? Die an sich verfassungswidrige Abgeltungssteuer, die dem Gleichheitssatz des Deutschen Grundgesetztes klar widerspricht, könnte auch weiterhin vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet werden. Dies aber nur, weil es »Vollzugsdefizite« bei der Eintreibung von Steuern gibt, und zwar durch die vielen ins Ausland transferierten »Fluchtgelder«. Diese »Defizite« bei dem »gleichheitsgerechten Vollzug« des deutschen Steuerrechts kann das Bundesverfassungsgericht aber nicht Deutschland zurechnen. Sie ergeben sich ja aus Taten des Auslandes, also auch und vor allem der Schweiz. Für das Ausland hat das deutsche Bundesverfassungsgericht jedoch schlechterdings keine Befugnisse.
Sollte also die Schweiz den automatischen Informationsaustausch einführen, dürfte die deutsche Abgeltungssteuer rasch kassiert werden, da sie dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht und Deutschland dies abstellen kann. Mit dem Abkommen aber wäre dieser Weg dauerhaft verbaut. Deutschland wäre auf unbestimmte Zeit gezwungen, die Kapitaleinkommen steuerlich zu privilegieren. Man mag verstehen, warum der Ton zwischen den beiden Ländern, die die gleiche Sprache sprechen, zuweilen sehr scharf ausfällt.
Für dumm verkauft
»Voll geil« finden die Banker das Steuerabkommen natürlich auch, weil eine Abgeltungssteuer allenfalls die Besteuerung der Zinsen, die das Schwarzgeld abwirft, sicherstellen kann (und dies auch noch in höchst unvollkommener, die Steuerprogression unterlaufender Art), nicht aber die Besteuerung des Schwarzgeldes selbst. Für wie dumm halten die Banker eigentlich Deutschland? Nur die 3% Zinsen sollen besteuert werden, nicht die 100%, nicht die Millionen, die weiterhin am Fiskus vorbei in die Schweiz verlagert werden können sollen, sondern nur die Tausende. – Man erkennt sofort, warum die Auswertung »gestohlener« Bankdaten, deren steuerrelevanter Informationsgehalt ohnehin Deutschland gehört, unter dem Regime des anvisierten Steuerabkommens auch weiterhin steuerlich Gehaltvolles zu Tage fördern wird.
Alles drängt zum automatischen Informationsaustausch
Der »gleichheitsgerechte Vollzug« der Besteuerung ist nur über einen automatischen Informationsaustausch zu gewährleisten. (Automatisch muss dieser sein, weil die ersuchenden Staaten ansonsten das, »was sie mit schweizerischen Bankunterlagen beweisen wollten, schon im Rechtshilfegesuch nachweisen müssen«, was erkennbar widersinnig wäre.) Dies hat die Staatengemeinschaft verstanden, und darum geht alles in diese Richtung. Die Schweiz hat soeben FATCA unterzeichnen müssen, welches den automatischen Informationsaustausch mit den USA etablieren wird. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, weil keine Bank – und die Schweizer Regierung versteht sich ja als Interessenvertretung eines Teils ihrer Banken – um den riesigen us-amerikanischen Kapitalmarkt herum kommt, und die USA diesen natürlich regulieren kann. Auch China hat sich kürzlich für den automatischen Informationsaustausch ausgesprochen. Singapur will kein europäisches Schwarzgeld annehmen. Am wichtigsten aber ist, dass die EU 2003 mit der Zinsrichtlinie den automatischen Informationsaustausch eingeführt hat. Die einzige übergangsweise Ausnahme bilden Luxemburg und Österreich.
Der versuchte Coup des Ausspielens der EU-Mitgliedstaaten
»Voll geil« ist Steuerabkommen aus Sicht der Bankenlobby vor allem, weil mit ihm eine Schneise des Abgeltungsregimes in den wachsenden Wald des automatischen Informationsaustausches geschlagen werden soll. Ungeschminkt verkünden die Banker, dass das Abgeltungsregime den Sinn hat, die flächendeckende Etablierung des automatischen Informationsaustauschs innerhalb Europas »zu verhindern« und neben diesem ein Abgeltungsregime »dauerhaft zu verankern«. So wird der Zufluss von Steuersubstrat nicht abreißen, denn die Schweiz böte so weiterhin einen »dauerhaften« Hafen für Steuerhinterzieher, die sich im übrigen Europa ihren Steuerpflichten ansonsten nicht mehr entziehen könnten und dabei ihr Schwarzgeld auch noch billig weisswaschen dürfen. Man sieht, warum die Schweizer Banker das Bankgeheimnis nicht Steuerhinterziehungsgeheimnis, sondern Bankkundengeheimnis nennen.
Dieses Geschäft funktioniert nur, wenn das Steuerabkommen Schweiz-Deutschland nicht scheitert. Denn wenn es scheitert, werden die beiden einzig abtrünnigen Staaten, Luxemburg und Österreich, ihre Blockadehaltung aufgeben und ihre Zustimmung zum Mandat der EU-Kommission für Verhandlungen mit der Schweiz über die Einführung des automatischen Informationsaustausches geben müssen. Und dass die mit der EU aufs Engste verbundene Schweiz diesem klar legitimen Anliegen der EU Folge leisten muss, daran besteht überhaupt kein Zweifel.
Bislang konnten sich Luxemburg und Österreich noch damit herausreden, dass sich die Schweiz zunächst mit einer zum automatischen Informationsaustausch »gleichwertigen« Lösung einverstanden erklären muss. Nur, was unterhalb der Schwelle eines automatischen Informationsaustausches sollte je als »gleichwertig« gelten können? In der offiziellen Lesart sind dies die Mindeststandards des OECD-Musterabkommens, die soeben verschärft wurden, was die Schweiz anerkennen musste. Eine Alternative könnte darin bestehen, dies willkürlich umzudefinieren. Wie wäre es, man fände einen Staat, der das Abgeltungsregime als »gleichwertig« klassiert und damit sozusagen völkerrechtlich adelte. Den August hat man in Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gefunden, der Deutschland derzeit in Steuersachen offiziell vertreten darf. (Markus Meinzer vom Tax Justice Network findet für das Verhalten Schäubles bzw. der Bundesregierung keine andere Erklärung als die, dass sie »sehr wohlhabenden CDU- oder FDP-Wählern oder Parteiveteranen« den Gefängnisaufenthalt ersparen möchte.) Schäuble hat im Steuerabkommen der Formulierung zugestimmt, dieses Abgeltungsregime käme »dem automatischen Informationsaustausch im Bereich der Kapitaleinkünfte in seiner Wirkung dauerhaft gleich«. »Voll geil!«
Immense Schäden
Alle haben sie über den Tisch gezogen, diese Banker. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Konrad Hummler ist bereits gefallen. Und die Bankiervereinigung hat eine Arbeitsgruppe gebildet, die ausloten soll, was das Undenkbare, aber Unaufhaltsame, nämlich die Einführung des automatischen Informationsaustausches, für die Schweizer Banken bedeuten wird (Tagesanzeiger vom 25.08.2012). Die schlaumeierischen und fürs Lobbying finanziell bestens ausgestatteten Banker haben immense Schäden angerichtet – nicht nur finanzielle Schäden im Ausland, sondern auch moralische Schäden für die Integrität der Schweiz als Rechtsstaat. Werden sie dafür jemals haften müssen?