01. April 2012
Bankenrepublik

Ulrich Thielemann
Kategorie: Steuergerechtigkeit

Ehemaliger Bankenlobbyist wird Schweizer Bundesanwalt und stellt prompt Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder aus

 

Als ich, zufälligerweise kurz nach einem Interview mit mir zum Steuerabkommen Schweiz Deutschland im Schweizer Radio (Echo der Zeit), von dem Haftbefehl des Schweizer Bundesanwalts, Michael Lauber, gegen deutsche Steuerfahnder las, dachte ich erst an einen missglückten Aprilscherz (er wäre einen Tag zu früh dran gewesen), dann daran, dass hier vielleicht ein Vertreter des Schweizer Rechtssystems auf einen an sich unhaltbaren Widerspruch zwischen dem Schweizer und dem Recht anderer Rechtsstaaten wie etwa Deutschland hinweisen möchte.

So hatte das Schweizer Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 5. März 2009 dafür Verständnis gezeigt, «dass teilweise aus internationaler Sicht das System der Schweiz, welches zwischen Hinterziehung und Steuerbetrug unterscheidet, schwer nachvollziehbar» sei und mit dem Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz eine «Rechtshilfelücke» festgestellt, die jedenfalls «aus der Sicht des Auslands» (wir sprechen hier von Rechtsstaaten) bestehe und die «zur "Steuerflucht" missbraucht werden könne und sicherlich realiter missbraucht werde», um sodann – man gewann den Eindruck: mit einigem rechtsstaatlichen Bedauern – festzuhalten, dass «das Gericht … jedoch die vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung zu respektieren» habe, jedenfalls solange, als der (Schweizer) «Gesetzgeber» nicht die entsprechenden «Anpassungen» im Bereich der zwischenstaatlichen Amts- oder Rechtshilfe für «erforderlich erachtet», denn dafür sei ja dieser zuständig, nicht «die Justiz oder die Verwaltung».

Von diesem Geist der Rechtsstaatlichkeit der Schweizer Justiz, die hier dem Schweizer «Gesetzgeber» – den politischen Kräften, die in der Schweiz das Sagen haben – mit dem Zaunpfahl winkt, ist der Haftbefehl (inkl. Auslieferungsgesuch!) des frisch berufenen Bundesanwalts jedoch meilenweit entfernt. Als ich sein Konterfei auf der Website des Tagesanzeigers sah, dachte ich: Den kennst Du doch irgendwoher. Und richtig. Lauber war zuvor Cheflobbyist der Banken Liechtensteins. In dieser Eigenschaft, nämlich als Geschäftsführer des Liechtensteinischen Bankenverbandes (LBV), traf ich Michael Lauber an dieser, von der Freien Liste des Fürstentums Liechtenstein (der einzigen Oppositionspartei im Ländle) organisierten Veranstaltung. Er war dort sozusagen mein Gegenpart und trat dabei nicht etwa gegen mich an, sondern als Besänftiger und Verharmloser auf. Das war nicht brillant, aber mit Blick auf das anwesende Publikum wohl einigermaßen wirksam. (Er dachte wohl: «Den Ball tief halten. Bloß keine argumentative Auseinandersetzung, denn dabei dürfte ich den kürzeren ziehen.» Wie Recht er hatte.)

An die investigativen Journalisten: Wie kann es sein, dass ein ehemaliger Bankenlobbyist in den Rang des höchsten Staatsanwaltes eines Landes gehoben wird? Dieser Seite konnte ich entnehmen, dass der amtierende Bundesanwalt Lauber erstmals vom Schweizer Parlament (genauer: von der Vereinigten Bundesversammlung) gewählt wurde (statt wie bislang vom Bundesrat, der Schweizer Landesregierung), und zwar mit einer überwältigenden Mehrheit von 203 von 206 gültigen Stimmen. Ich vermute Ahnungslosigkeit auf Seiten derjenigen politischen Kräfte der Schweiz, die an der beschämenden Praxis der staatlich sanktionierten Beihilfe zur Steuerhinterziehung nicht weiter festhalten möchten. Ich kann nur vermuten, dass Lauber sich zuvor mit den Befürwortern dieser Praxis ins Einvernehmen gesetzt hat – und dann relativ rasch nach seiner Amtsübernahme sein Versprechen wahr gemacht hat. Vertreter der Kommission, die Lüscher als einzigen Kandidaten vorschlugen, bescheinigten ihm jedenfalls «psychologische Finesse» – was mich irgendwie an die «Rosinenpicker-Schlaumeier-Strategie» erinnert, als die Ruedi Noser (FDP-Nationalrat) die Schweizer Haltung in Fragen Beihilfe zur Steuerhinterziehung beschrieb (und danach sofort zurückgepfiffen wurde).

Von «Finesse» (oder vielleicht «Fingerspitzengefühl»?) ist das Vorgehen Laubers nicht gerade geprägt. Gewissermaßen ist der Haftbefehl gegen deutsche Steuerbeamte (sic) aber ein äußerst geschickter Schachzug. Denn er schürt die Vorurteile, derer sich diejenigen bedienen, für die die Besteuerung (vor allem: des Kapitals) ohnehin ein Recht minderen Rangs ist, wenn nicht gar eigentlich Unrecht (Steuern als Diebstahl), indem sie triumphierend darauf verweisen: Schaut her, der Staat macht sich mit (Daten-)Dieben gemein.

Abgesehen davon, dass diese «Daten» bzw. Informationen ohne jeden Zweifel im rechtmäßigen Eigentum der jeweiligen Wohnsitzstaaten der Steuerpflichtigen liegen (wer hieran Zweifel hegt, lese dies), die Schweiz (wie definitionsgemäß jede Steueroase) dieses informationelle Eigentum aber nicht herausgibt (weshalb hier in der Tat eine Konfusion zwischen «Ursache und Wirkung» besteht, wie Peer Steinbrück treffend bemerkt), liegen hier keinerlei Beweisverwertungsverbote vor. (Die zu Grunde liegende Story zeichnet Hans Leyendecker hier nach.) Besonders pikant und von den Schweizer Medien sträflich vernachlässigt: Auch die Schweizer Steuerbehörden haben solche im Ausland «gestohlenen» Daten verwendet – nämlich aus der Liechtensteiner Batliner-CD – und das Bundesgericht Lausanne hat diese Praxis bestätigt, worauf etwa Heribert Prantl hingewiesen hat. – Was soll also bitte dieses Geschrei, welches jetzt wieder in den Foren losgetreten wird?

Was der saubere und für den demokratischen Rechtsstaat stolzere Weg wäre, ist ja lange bekannt. Der Schweizer Journalismus hat es allerdings versäumt, auf den in Frage stehenden Tatbestand (für den der Begriff «Steuerausländer» das Zauberwort bildet) hinzuweisen. (Das traurige Ergebnis findet sich etwa hier.) Solange dies so bleibt, wird das Verhältnis der beiden, weitgehend dem gleichen Sprach- und Kulturraum angehörenden Nachbarstaaten von Feindseligkeiten und grotesken Rechtsstreitigkeiten bestimmt bleiben. Solange die Einsicht fehlt, wird die offizielle Schweiz nur die Sprache der «Risiken», also des eigenen Vorteils, verstehen. Offenbar schätzen die Förderer Laubers dieses «Risiken» anders ein und wollen, anders als der Direktor der Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma), Patrick Raaflaub, nicht «akzeptieren, dass das Geschäftsmodell, das auf dem Verstecken unversteuerter Gelder basiert, am Ende ist.»

Nachtrag:

Hier aktuelle Radiointerviews dazu auf WDR5 und im Echo der Zeit von DRS1.