22. September 2015
«Anreizsysteme korrumpieren die Unternehmen moralisch»

Ulrich Thielemann
Kategorie: Compliance

Interview zum Volkswagen-Abgasmanipulationsskandal

Hier der Link zum Interview im Deutschlandfunk von gestern.

Das Interview fragt nach den Ursachen der Betrugspraktiken, in die ja viele Akteure innerhalb des Konzerns (nun in den USA oder auch in Deutschland?) involviert sein mussten. Was ist das für ein Geist, der dort herrscht und woher kommt dieser? Woher kommt die kriminielle Energie, mit der die «Talente» des Konzerns ans Werk gingen, um die us-amerikanische Umweltbehörde und die Verbraucher in perfider und technisch sophistizierter Weise zu täuschen?

Meine Vermutung: Es sind die «Verhaltensanreize», die die Unternehmen – natürlich nicht nur bei VW (sondern ja vor allem bei den Banken) und nicht nur für das Top-Management – etabliert haben, um die inter-unternehmerischen Entscheidungsträger, die «Agenten» der «Prinzipale», also der Aktionäre, des Unternehmens, dazu zu bewegen, alles zu tun, um den «Unternehmenswert stetig zu steigern». Diese Anreizsysteme liegen grundsätzlich im Interesse des Kapitals, da es ihm nur so gelingt, alle rentabilitätsfremden Gesichtspunkte (wie etwa moralische Bedenken) aus dem Betriebsgeschehen zu eliminieren. Es werden stattdessen nur «Risiken», also in der Zukunft liegende Nachteile, beachtet, etwa «Rechts-» oder «Repuationsrisiken», die gegen die «Chancen» aufzurechnen sind.

Unternehmen, die diese Anreizsystem nicht etablieren, haben gegenüber ihren Konkurrenten auf dem «markte for corporate control» das Nachsehen. Natürlich erwächst innerhalb dieses sozusagen «kapitalistischen» Bezugsrahmes ein Konflikt zwischen den kurzfristigen und langfristigen Kapitalverwertungsinteressen der Aktionäre. Diejenigen, die jetzt den Einbruch des Aktienkurses zu tragen haben (in der Höhe von 16 Milliarden Euro hypothetischer Zukunftsrenditen plus ursprünglichem Kapitaleinsatz), wurden sozusagen von denjenigen abgezockt, die vorher den Wertzuwachs eingestrichen haben (wobei der Wertzuwachs aus diesem Geschäft – Dieselfahrzeuge für den US-Markt – wohl zu vernachlässigen sein dürfte, jedenfalls wenn davo auszugehen ist, dass sich der Betrug auf den US-Markt beschränkt).

Mein Vorschlag: Den Unternehmen bzw. deren Beschäftigten (wer ist das eigentlich: ein Unternehmen?), die anständig wirtschaften möchten und die sich ihre Integrität nicht abkaufen lassen wollen, muss geholfen werden, indem kompetitiv abgerüstet wird. (Gleiches gilt für Aktionäre, die auf verantwortungsvolle Weise Kapitaleinkommen erzielen möchten, wobei diese dann tiefer ausfallen würden, als heute.) Und der Wettbewerb zwischen den Unternehmen spielt sich heute eben auch über die Personalpolitik und die Gestaltung der innerbetrieblichen Organisation ab und hier vor allem über das Ausmaß und die Durchschlagskraft variabler Vergütungen, mit denen ja die «besten Talente» für die Unternehmen angeworben und gehalten werden sollen. Davon kann sich ein einzelnes Unternehmen nur schwer verabschieden, da ihm sonst die Aktionäre davonliefen. Das muss reguliert werden. Man könnte sich vorstellen, dass der Anteil, der den Beschäftigten (Management eingeschlossen) variabel ausgezahlt wird, nur ein begrenzter sein darf.

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